Episodes

  • Rache und immer wieder Rache?

    Jeder Krieg muß einen Besiegten aufweisen und wenn dieser nur in einem nächsten Krieg Genugtuung finden kann, einem nächsten, der natürlich wieder einen genugtuungheischenden Besiegten schaffen wird

    – wann nimmt das ein Ende?

    Wie kann Gerechtigkeit erlangt, wann altes Übel gesühnt werden,

    wenn als Sühnemittel immer wieder neues Unrecht angewendet wird?

    Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen

    – nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!





    Musik: Elisa Demonki

  • Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
    Signore: è tempo. Grande era l’arsura.
    Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
    und auf den Fluren laß die Winde los.
    Deponi l’ombra sulle meridiane,
    libera il vento sopra la pianura.

    Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
    gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
    dränge sie zur Vollendung hin und jage
    die letzte Süße in den schweren Wein.
    Fa’ che sia colmo ancora il frutto estremo;
    concedi ancora un giorno di tepore,
    che il frutto giunga a maturare, e spremi
    nel grave vino l’ultimo sapore.





    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
    Chi non ha casa adesso, non l’avrà.
    Chi è solo a lungo solo dovrà stare,
    leggere nelle veglie, e lunghi fogli
    scrivere, e incerto sulle vie tornare
    dove nell’aria fluttuano le foglie.

    Giaime Pintor (1919 - 1943) studierte Goethe und übersetzte die Werke von Heinrich von Kleist, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke. Er war Schriftsteller, Übersetzer und Antifaschist. Mit gerade einmal 24 Jahren verlor er sein Leben im 2.Weltkrieg.

    Lesung
    Musik: Elisa Demonki

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  • Zwei Frösche, deren Tümpel die heiße Sommersonne ausgetrocknet hatte, gingen auf die Wanderschaft.



    Gegen Abend kamen sie in die Kammer eines Bauernhofs und fanden dort eine große Schüssel Milch vor, die zum Abrahmen aufgestellt worden war.

    Sie hüpften sogleich hinein und ließen es sich schmecken.

    Als sie ihren Durst gestillt hatten und wieder ins Freie wollten, konnten sie es nicht: die glatte Wand der Schüssel war nicht zu bezwingen, und sie rutschten immer wieder in die Milch zurück.

    Viele Stunden mühten sie sich nun vergeblich ab, und ihre Schenkel wurden allmählich immer matter.

    Da quakte der eine Frosch: »Quack! Alles Strampeln ist umsonst, das Schicksal ist gegen uns, ich geb's auf!« Er machte keine Bewegung mehr, glitt auf den Boden des Gefäßes und ertrank.

    Sein Gefährte aber kämpfte verzweifelt weiter bis tief in die Nacht hinein. Da fühlte er den ersten festen Butterbrocken unter seinen Füßen, er stieß sich mit letzter Kraft ab und war im Freien.

    Klavier: Ulrike Theusner

  • Drei Minuten Gehör will ich
    von euch, die ihr arbeitet – !
    Von euch, die ihr den Hammer schwingt,
    von euch, die ihr auf Krücken hinkt,
    von euch, die ihr die Feder führt,
    von euch, die ihr die Kessel schürt,
    von euch, die mit den treuen Händen
    dem Manne ihre Liebe spenden –
    von euch, den Jungen und den Alten – :
    Ihr sollt drei Minuten inne halten.
    Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern.
    Wir wollen uns einmal erinnern.










    Die erste Minute gehöre dem Mann.
    Wer trat vor Jahren in Feldgrau an?
    Zu Hause die Kinder – zu Hause weint Mutter ...
    Ihr: feldgraues Kanonenfutter – !
    Ihr zogt in den lehmigen Ackergraben.
    Da saht ihr keinen Fürstenknaben:
    der soff sich einen in der Etappe
    und ging mit den Damen in die Klappe.
    Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt.
    Wart ihr noch Gottes Ebenbild?
    In der Kaserne – im Schilderhaus
    wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus.
    Der Offizier war eine Perle,
    aber ihr wart nur ›Kerle‹!
    Ein elender Schieß- und Grüßautomat.
    »Sie Schwein! Hände an die Hosennaht –!«
    Verwundete mochten sich krümmen und biegen:
    kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen.
    Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine:
    Die Offiziere lagen alleine!
    Ihr wart des Todes billige Ware…
    So ging das vier lange blutige Jahre.
    Erinnert ihr euch – ?




    Die zweite Minute gehöre der Frau.
    Wem wurden zu Haus die Haare grau?
    Wer schreckte, wenn der Tag vorbei,
    in den Nächten auf mit einem Schrei?
    Wer ist es vier Jahre hindurch gewesen,
    der anstand in langen Polonaisen,
    indessen Prinzessinnen und ihre Gatten
    alles, alles, alles hatten – –?
    Wem schrieben sie einen kurzen Brief,
    dass wieder einer in Flandern schlief?
    Dazu ein Formular mit zwei Zetteln ...
    wer mußte hier um die Renten betteln?
    Tränen und Krämpfe und wildes Schrein.
    Er hatte Ruhe. Ihr wart allein.
    Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel,
    euch in die Arme zurück als Krüppel.
    So sah sie aus, die wunderbare
    große Zeit – vier lange Jahre…
    Erinnert ihr euch – ?




    Die dritte Minute gehört den Jungen!
    Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen!
    Ihr wart noch frei! Ihr seid heute frei!
    Sorgt dafür, dass es immer so sei!
    An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun
    von Millionen deutschen Männern und Fraun.
    Ihr sollt nicht strammstehn. Ihr sollt nicht dienen!
    Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen!
    Und wenn sie euch kommen und drohn mit Pistolen –:
    Geht nicht! Sie sollen euch erst mal holen!
    Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten!
    Keine Monokel-Potentaten!
    Keine Orden! Keine Spaliere!
    Keine Reserveoffiziere!
    Ihr seid die Zukunft!
    Euer das Land!
    Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!
    Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!
    Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei!
    Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg!

    – Nie wieder Krieg – !




    Theobald Tiger, 1922




    Lesung
    Sound: Elisa Demonki

  • Rosen pflücke, Rosen blühn,
    Morgen ist nicht heut!
    Keine Stunde laß entfliehn,
    Flüchtig ist die Zeit!

    Trink' und küsse! Sieh, es ist
    Heut Gelegenheit;
    Weißt du, wo du morgen bist?
    Flüchtig ist die Zeit!

    Aufschub einer guten That
    Hat schon oft gereut!
    Hurtig leben ist mein Rat,
    Flüchtig ist die Zeit!





    Musik: Ulrike Theusner (»Schmetterling«, komponiert mit 8 Jahren)

  • Wer gut zu führen weiß,
    ist nicht kriegerisch.

    Wer gut zu kämpfen weiß,
    ist nicht zornig.

    Wer gut die Feinde zu besiegen weiß,
    kämpft nicht mit ihnen.

    Wer gut die Menschen zu gebrauchen weiß,
    der hält sich unten.

    Das ist das Leben, das nicht streitet;
    das ist die Kraft, die Menschen zu gebrauchen;
    das ist der Pol, der bis zum Himmel reicht.


    Laozi von Zhang Lu

  • Für S.K.

    Ich bin der Welt abhanden gekommen,
    Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
    Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
    Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.

    Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
    Ob sie mich für gestorben hält;
    Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
    Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

    Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
    Und ruh’ in einem stillen Gebiet.
    Ich leb’ in mir und meinem Himmel,
    In meinem Lieben, in meinem Lied.

    [caption id="attachment_821" align="alignnone" width="400"] Caspar David Friedrich »Calm in Snow«[/caption]

  • Die Hoffnung. — Pandora brachte das Fass mit den Übeln und öffnete es.

    Es war das Geschenk der Götter an die Menschen, von Außen ein schönes verführerisches Geschenk und "Glücksfass" zubenannt.

    Da flogen all die Übel, lebendige beschwingte Wesen heraus: von da an schweifen sie nun herum und tun den Menschen Schaden bei Tag und Nacht.



    Ein einziges Übel war noch nicht aus dem Fass herausgeschlüpft: da schlug Pandora nach Zeus' Willen den Deckel zu und so blieb es darin.

    Für immer hat der Mensch nun das Glücksfass im Hause und meint Wunder was für einen Schatz er in ihm habe; es steht ihm zu Diensten, er greift darnach: wenn es ihn gelüstet; denn er weiß nicht, dass jenes Fass, welches Pandora brachte, das Fass der Übel war, und hält das zurückgebliebene Übel für das größte Glücksgut, — es ist die Hoffnung.

    — Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.

  • Es wogt um mich das Meer der Schmerzen.Wüst brennt das Hirn, gedankenleer.Nur eines, eines kann ich fassen,ich habe keine Heimat mehr.
    Hinab sank mir der Jugend Freude,hinab in des Vergessens Meer.Es blieb nur eine heiße Wunde,ich habe keine Heimat mehr.


    Egon Schiele »Crouching Nude in Shoes and Black Stockings«


    Noch immer rauscht das Leben weiter,es glüht und leuchtet um mich her.Doch meinen Jammer kann's nicht stillen –Ich habe keine Heimat mehr.

  • Wenn es eine Hölle geben kann, so ist sie ganz gewiß nur eine Zeit namenloser Angst. Denn es gibt wohl nichts Furchtbareres als Angst. Die Schmerzen des Leibes und der Seele reichen nicht an das Gefühl wahnwitziger Angst hinan, welche die Glieder lähmt, das Wort in Eis verwandelt, das Herz in einen Krater, in dem es pocht und siedet Tag und Nacht.



    Die Höllengeborenen, welche die Angst erfanden, wußten, daß diese dem Menschen die Sinne und Gedanken raubt. Und dennoch haben Unzählige diesem Entsetzen widerstanden und sind für einen einzigen Gedanken, für eine einzige Überzeugung durch die Qual hindurchgegangen in den Tod, der wie ein Balsam ihre erlöschenden Kräfte umfing.



    Ein Gedanke trug diese Menschen dem Himmel zu, während ihre Henker in der Hölle verweilten, darum, wenn die Angst, o Seele, dich umnachtet, so ist es nur darum, weil du zweifelst, weil deine Überzeugung schwankt, weil du nicht den Glauben hast, daß höchste Weisheit dich erleuchtet, und wenn sich die ganze Welt wider dich kehrt.



    Du hast schon Angst vor der Leute Geschwätz, schon diese Kleinigkeit ist dir so unerträglich, daß du lieber dem Moloch dieser Leute opferst, als dich freudig zu deiner Überzeugung zu bekennen.









    Das macht, weil das Christentum die Throne bestiegen hat und in goldenen Gewändern einhergeht, anstatt verfolgt und verhöhnt und gemartert zu sein. Damals zweifelte keiner, und alle gingen in den Tod.



    Der Zweifel ist die Ausgeburt des Wohllebens und der Erschlaffung. Wer leidet, der zweifelt nicht, im Gegenteil, er wird nur immer bestärkt in seinem Glauben. Du aber bist in der Verweichlichung groß geworden, in dem bequemen Weihrauch der Kirche, der dich einhüllt und keinen Kampf mehr von dir fordert, und da trifft dich das Ungemach mit seiner Folter, Angst, wie etwas Unbekanntes, Entsetzliches.



    Angst ist entsetzlich. Sie hat hundert Köpfe und tausend Krallen, sie hat gar kein Antlitz, und gar keine Gestalt, das macht sie so furchtbar. Die heilige Vehm nahm Masken vor, um furchtbarer zu sein. Dasselbe tut die Angst. Sie hat kein erkennbares Aussehen, sondern legt sich dir auf Herz und Glieder und raubt dir den Verstand.









    Das aber ist wiederum der Körper, der dich also schwach macht, denn du weißt, daß du dasselbe denkst wie zuvor. Die Angst an einem Totenbette ist schlimmer als der Tod, die Angst vor einem vernichtenden Gespräche schrecklicher als das Gespräch, das mit einem Menschen stattfindet, der nur eine kurze Zeit über dich Gewalt bekommen hat und dich nicht ewig foltern kann.



    Die Angst, Unrecht getan zu haben, die Angst vor der Tat, die du für recht hältst, und von der du doch nicht gewiß weißt ob sie zum Guten führt, die Angst, ein Wort gesprochen zu haben, das einem andern Schaden bringt, – aber siehst du nicht, daß die ganze Natur Angst hat?



    Vor dir, dem Räuber, der alles Lebendige verzehrt, fürchten sich alle, und dein Entzücken ist grenzenlos, wenn eins dieser bangen, mißtrauischen Wesen sich an dich anschmiegt und glaubt, daß du es gut mit ihm meinst. Womit hast du denn dieses Vertrauen verdient? Was hast du getan, damit Vogel und Reh, Schmetterling und Eidechse dir vertrauen? Denn selbst die Haustiere sind alle dem Tode verfallen, du nährst sie nur für dich, nicht zu ihrem Wohl.









    Und dann willst du allein das Gefühl der Angst nicht kennen? Hast du das verdient? Du würdest nicht so arm sein, als … (weiterlesen auf https://podcast-lesung.de/62-elisabeth-zu-wied-carmen-sylva-angst-aus-geflusterte-worte/)

  • »Byron allein lasse ich neben mir gelten.«
    J.W.Goethe
    There be none of Beauty‘s daughters
    With a magic like thee;
    And like music on the waters
    Is thy sweet voice to me:


    Der Schönheit Töchter keine gleich’
    Mit einem Zauber ähnlich dir,
    Wie Musik aus dem Wasserreich
    Ist deine süße Stimme mir:

    When, as if its sound were causing
    The charmed ocean‘s pausing,
    The waves lie still and gleaming,
    And the lull‘d winds seem dreaming.

    Sie zog, sobald ihr Ton begann,
    Den Ozean in ihren Bann;
    Glänzend still, die Wellen schwingen
    Und die Winde träumend singen.




    And the midnight moon is weaving
    Her bright chain o‘er the deep;
    Whose breast is gently heaving,
    As an infant‘s asleep:

    Und der Mitternachtsmond webend
    Hell sein Netz über der Tiefe,
    Deren Brust sich langsam hebend
    Als ob leis ein Kindlein schliefe:

    So the spirit bows before thee,
    To listen and adore thee;
    With a full but soft emotion,
    Like the swell of Summer‘s ocean.

    So beugt sich so vor dir der Geist,
    Der dir zuhört und dich preist;
    Mit der kraftvoll sanften Regung,
    Wie des Sommermeers Bewegung.«
    Der britische Dichter George Gordon Byron schrieb das Gedicht im Jahre 1816 für seine Tochter Ada. Ada Lovelace gilt heute als die erste Programmiererin der Welt.



    Übersetzung von Anna J. Rahn aus dem Buch »Lord Byron – Ein Autobiografisches Lesebuch«
    mit Bildern von Ulrike Theusner. Sie spielte auch das Klavier in »Stanzas For Music«.


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  • Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund.

    Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm naß.

    Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus mußte er nun essen.

    Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. »Was machst du da?« fragte der Vater.
    »Ich mache ein Tröglein,« antwortete das Kind, »daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.«

    Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen,
    holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.

  • Auf einem niedrigen Herd steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schäumt ihn, und sorgt daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrat geschmückt.

    Faust.
    Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
    Versprichst du mir, ich soll genesen,
    In diesem Wust von Raserei?
    Verlang’ ich Rat von einem alten Weibe?
    Und schafft die Sudelköcherei
    Wohl dreißig Jahre mir vom Leibe?
    Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
    Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
    Hat die Natur und hat ein edler Geist
    Nicht irgend einen Balsam ausgefunden?

    Mephistopheles.
    Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
    Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;
    Allein es steht in einem andern Buch,
    Und ist ein wunderlich Kapitel.

    Faust.
    Ich will es wissen.

    Mephistopheles.
    Gut! Ein Mittel, ohne Geld
    Und Arzt und Zauberei, zu haben:
    Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
    Fang’ an zu hacken und zu graben,
    Erhalte dich und deinen Sinn
    In einem ganz beschränkten Kreise,
    Ernähre dich mit ungemischter Speise,
    Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für Raub,
    Den Acker, den du erntest, selbst zu düngen;
    Das ist das beste Mittel, glaub’,
    Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!




    Faust.
    Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen
    Den Spaten in die Hand zu nehmen,
    Das enge Leben steht mir gar nicht an.

    Mephistopheles.
    So muß denn doch die Hexe dran.

    Faust.
    Warum denn just das alte Weib?
    Kannst du den Trank nicht selber brauen?

    Mephistopheles.
    Das wär’ ein schöner Zeitvertreib!
    Ich wollt’ indes wohl tausend Brücken bauen.
    Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
    Geduld will bei dem Werke sein.
    Ein stiller Geist ist Jahre lang geschäftig,
    Die Zeit nur macht die feine Gährung kräftig.
    Und alles was dazu gehört
    Es sind gar wunderbare Sachen!
    Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt;
    Allein der Teufel kann’s nicht machen.

  • Gretchen (am Spinnrad, allein)

    Meine Ruh ist hin,
    Mein Herz ist schwer;
    Ich finde sie nimmer
    und nimmermehr.

    Wo ich ihn nicht hab,
    Ist mir das Grab,
    Die ganze Welt
    Ist mir vergällt.

    Mein armer Kopf
    Ist mir verrückt,
    Meiner armer Sinn
    Ist mir zerstückt.

    Meine Ruh ist hin,
    Mein Herz ist schwer,
    Ich finde sie nimmer
    und nimmermehr.




    Nach ihm nur schau ich
    Zum Fenster hinaus,
    Nach ihm nur geh ich
    Aus dem Haus.

    Sein hoher Gang,
    Sein edle Gestalt,
    Seines Mundes Lächeln,
    Seiner Augen Gewalt,

    Und seiner Rede
    Zauberfluß,
    Sein Händedruck,
    Und ach! sein Kuß!

    Meine Ruh ist hin,
    Mein Herz ist schwer,
    Ich finde sie nimmer
    und nimmermehr.

    Mein Busen drängt
    Sich nach ihm hin,
    Ach dürft ich fassen
    Und halten ihn,

    Und küssen ihn,
    So wie ich wollt,
    An seinen Küssen
    Vergehen sollt!

  • Unglaublich ist es, was der Mensch vermag, auch im Physischen, durch die Kraft des festen Willens; und so auch durch die Not, die oft allein einen solchen festen Willen hervorzubringen vermag.

    Wer kann leugnen, daß es Wunder und Wunderheilungen gibt? – Aber was sind sie anders als Wirkungen des festen Glaubens entweder an himmlische Kräfte, oder auch an irdische und folglich Wirkungen des Geistes?



    Jedermann kennt die Kraft der Imagination. Niemand zweifelt daran, daß es eingebildete Krankheiten gibt, und daß eine Menge Menschen an nichts anders krank sind, als an der Krankheitseinbildung (Hypochondrie). Ist es nun aber nicht ebensogut möglich und unendlich besser, sich einzubilden, gesund zu sein? Und wird man nicht dadurch ebensogut seine Gesundheit stärken und erhalten können, als durch das Gegenteil die Krankheit?

    Ja am auffallendsten zeigte sich die Kraft des Geistigen bei ansteckenden und epidemischen Krankheiten. Es ist eine ausgemachte Erfahrungssache, daß die, welche guten Mut haben, sich nicht fürchten und ekeln, am wenigsten angesteckt werden. Aber daß eine schon wirklich geschehene Ansteckung noch durch freudige Exaltation des Geistes wieder aufgehoben werden könne, davon bin ich selbst ein Beispiel. – Ich hatte in dem Kriegsjahre 1807, wo in Preußen ein pestartiges Faulfieber herrschte, viele solche Kranke zu behandeln und fühlte eines Morgens bei dem Erwachen alle Zeichen der Ansteckung, Schwindel, Kopfbetäubung, Zerschlagenheit der Glieder, genug alle Vorboten, die bekanntlich mehrere Tage dauern können, ehe die Krankheit wirklich ausbricht. – Aber die Pflicht gebot; andere waren kränker als ich. Ich beschloß, meine Geschäfte wie gewöhnlich zu verrichten und mittags einem frohen Mahle beizuwohnen, wozu ich eingeladen war. Hier überließ ich mich einige Stunden ganz der Freude und dem lauten Frohsinn, der mich umgab, trank absichtlich mehr Wein wie gewöhnlich, ging mit einem künstlich erregten Fieber nach Hause, legte mich zu Bett, schwitzte die Nacht hindurch reichlich und war am andern Morgen völlig hergestellt.



    Guanaco; CC BY-SA 3.0

  • nebst Abart und Ausartung

    Der Fußballwahn ist eine Krankheit,
    aber selten, Gott sei Dank.

    Ich kenne wen, der litt akut
    An Fußballwahn und Fußballwut.
    Sowie er einen Gegenstand
    In Kugelform und ähnlich fand,
    So trat er zu und stieß mit Kraft
    Ihn in die bunte Nachbarschaft.



    Ob es ein Schwalbennest, ein Tiegel,
    Ein Käse, Globus oder Igel,
    Ein Krug, ein Schmuckwerk am Altar,
    Ein Kegelball, ein Kissen war,

    Und wem der Gegenstand gehörte,
    Das war etwas, was ihn nicht störte.

    Bald trieb er eine Schweineblase,
    Bald steife Hüte durch die Straße.
    Dann wieder mit geübtem Schwung
    Stieß er den Fuß in Pferdedung.
    Mit Schwamm und Seife trieb er Sport.
    Die Lampenkuppel brach sofort.
    Das Nachtgeschirr flog zielbewußt
    Der Tante Berta an die Brust.

    Kein Abwehrmittel wollte nützen,
    Nicht Stacheldraht in Stiefelspitzen,
    Noch Puffer außen angebracht.
    Er siegte immer, 0 zu 8.

    Und übte weiter frisch, fromm, frei
    Mit Totenkopf und Straußenei.
    Erschreckt durch seine wilden Stöße,
    Gab man ihm nie Kartoffelklöße.

    Selbst vor dem Podex und den Brüsten
    Der Frau ergriff ihn ein Gelüsten,
    Was er jedoch als Mann von Stand,
    Aus Höflichkeit meist überwand.
    Dagegen gab ein Schwartenmagen
    Dem Fleischer Anlaß zum Verklagen.

    Was beim Gemüsemarkt geschah,
    Kommt einer Schlacht bei Leipzig nah.
    Da schwirrten Äpfel, Apfelsinen
    Durch Publikum wie wilde Bienen.
    Da sah man Blutorangen, Zwetschen
    An blassen Wangen sich zerquetschen.
    Das Eigelb überzog die Leiber,
    Ein Fischkorb platzte zwischen Weiber.
    Kartoffeln spritzten und Citronen.
    Man duckte sich vor den Melonen.
    Dem Krautkopf folgten Kürbisschüsse.
    Dann donnerten die Kokosnüsse.

    Genug! Als alles dies getan,
    Griff unser Held zum Größenwahn.
    Schon schäkernd mit der U-Bootsmine
    Besann er sich auf die Lawine.
    Doch als pompöser Fußballstößer
    Fand er die Erde noch viel größer.

    Er rang mit mancherlei Problemen.
    Zunächst: Wie soll man Anlauf nehmen?
    Dann schiffte er von dem Balkon
    Sich ein in einem Luftballon.

    Und blieb von da an in der Luft,
    Verschollen. Hat sich selbst verpufft. –

    Ich warne euch, ihr Brüder Jahns,
    Vor dem Gebrauch des Fußballwahns!

  • Obgleich kein Gruß, obgleich kein Brief von mir,
    So lang dir kömmt, laß keinen Zweifel doch
    Ins Herz, als wär die Zärtlichkeit des Sohns,
    Die ich dir schuldig bin, aus meiner Brust
    Entwichen. Nein, so wenig als der Fels
    Der tief im Fluß, vor ewgem Ancker liegt,
    Aus seiner Stätte weicht, obgleich die Fluht,
    Mit stürmschen Wellen bald, mit sanften bald
    Darüber fließt, und ihn dem Aug entreißt.
    So wenig weicht die Zärtlichkeit für dich
    Aus meiner Brust, obgleich des Lebens Strom,
    Vom Schmerz gepeitscht bald stürmend drüber fließt,
    Und, von der Freude bald gestreichelt, still
    Sie deckt, und sie verhindert daß sie nicht
    Ihr Haupt der Sonne zeigt, und ringsumher
    Zurückgeworfne Strahlen trägt, und dir
    Bey jedem Blicke zeigt, wie dich dein Sohn verehrt.



    Foto: Andreas Praefcke (Denkmal für die Mutter Goethes im Palmengarten in Frankfurt am Main)
    Text: zeno.org (Goethe schrieb dieses Gedicht 1767 mit 17 Jahren, in einem Brief an seine Schwester Cornelia.)

  • (Ein Zitat von Joseph Pulitzer
    aus dem Buch von Denis Brian “Pulitzer: A Life“)

    There is not a crime, there is not a dodge, there is not a trick, there is not a swindle, there is not a vice which does not live by secrecy.

    Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt.

    Get these things out in the open, describe them, attack them, ridicule them in the press, and sooner or later public opinion will sweep them away.

    Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibt sie, attackiert sie, macht sie vor allen Augen lächerlich. Und früher oder später wird die öffentliche Meinung sie hinwegfegen.

    Publicity may not be the only thing that is needed, but it is the one thing without which all other agencies will fail.

    Bekannt machen allein genügt vielleicht nicht – aber es ist das einzige Mittel, ohne das alle anderen versagen…



    Bild mit J. Pulitzer: Elisa Demonki

  • nach der revidierten Übersetzung von Martin Luther

    Lukas 22
    7 Es kam nun der Tag,
    an welchem man mußte opfern das Osterlamm.

    Markus 14
    22 Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot,
    dankte und sprach: Esset; das ist mein Leib.
    23 Und nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den;
    und sie tranken alle daraus.
    24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut,
    das für viele vergossen wird.

    Lukas 22
    24 Es erhob sich auch ein Zank unter ihnen,
    welcher unter ihnen sollte für den Größten gehalten werden.
    25 Er aber sprach zu ihnen:
    Die weltlichen Könige herrschen,
    und die Gewaltigen heißt man gnädige Herren.
    26 Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste,
    und der Vornehmste wie ein Diener.



    Markus 14
    18 Und als sie aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch:
    Einer unter euch, der mit mir isset, wird mich verraten.
    19 Und sie wurden traurig und sagten ihm, einer nach dem anderen:
    Bin ich’s? und der andere: Bin ich’s?
    29 Petrus aber sagte zu ihm:
    31 Ja, wenn ich mit dir auch sterben müßte,
    wollte ich dich doch nicht verleugnen.
    Desgleichen sagten sie alle.

    Markus 14
    26Und da sie den Lobgesang gesprochen hatten,
    gingen sie hinaus an den Ölberg.
    38 Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet!
    Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.



    43 Und alsbald, da er noch redete, kam herzu Judas,
    der Zwölf einer, und eine große Schar mit ihm,
    mit Schwertern und mit Stangen
    von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten und Ältesten.
    44 Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt:
    Welchen ich küssen werde, der ist’s;
    45 Und da er kam, trat er alsbald zu ihm und sprach zu ihm:
    Rabbi, Rabbi! und küßte ihn.



    Lukas 22
    48 Jesus aber sprach zu ihm:
    Judas, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?

    Markus 14
    46 Die aber legten ihre Hände an ihn und griffen ihn.
    48 Und Jesus sprach zu ihnen:
    Ihr seid ausgegangen wie zu einem Mörder
    mit Schwertern und Stangen, mich zu fangen.
    50 Und die Jünger verließen ihn alle und flohen.
    54 Petrus aber folgte ihm nach von ferne
    bis hinein in des Hohenpriesters Palast.


    Giotto di Bondone – „Jesus vor dem Hohen Rat“

    61 Da fragte ihn der Hohepriester :
    Bist du Christus, Sohn des Hochgelobten?
    62 Jesus aber sprach: Ich bin’s
    63 Da zerriß der Hohepriester seinen Rock und sprach:
    64 Ihr habt gehört die Gotteslästerung. Was dünkt euch?
    Sie aber verdammten ihn alle, daß er des Todes schuldig wäre.
    66 Und Petrus war unten im Hof.
    67 Und du warst auch mit Jesus von Nazareth.
    68 Er leugnete aber und sprach: Ich kenne ihn nicht,
    69 Dieser ist deren einer.
    70 Und er leugnete abermals. Und nach einer kleinen Weile

    Lukas 22
    59 bekräftigte es ein anderer und sprach:
    Wahrlich dieser war auch mit ihm.
    60 Petrus aber sprach:
    Mensch, ich weiß nicht, was du sagst.
    Und alsbald, als er noch redete, krähte der Hahn.



    61 Und der HERR wandte sich um und sah Petrus an.
    Und Petrus gedachte an des HERRN Wort, wie er zu ihm gesagt hatte:
    Ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
    62 Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.
    63 Die Männer aber, die Jesum hielten, verspotteten ihn,
    64 verdeckten ihn und schlugen ihn ins Angesicht und fragten ihn und sprachen:
    Weissage, wer ist’s, der dich schlug?

    Matthäus27
    3 Da das sah Judas, der ihn verraten hatte,
    daß er verdammt war zum Tode, gereute es ihn,
    und brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und den Ältesten
    4 und sprach: Ich habe übel getan, daß ich unschuldig Blut verraten hab… (weiterlesen auf https://podcast-lesung.de/53-die-sieben-letzten-worte-jesu-christi-aus-den-vier-evangelien-des-neuen-testaments/)

  • Verhaßt ist mir das Folgen und das Führen.
    Gehorchen? Nein! Und aber nein – Regieren!
    Wer sich nicht schrecklich ist, macht niemand Schrecken:
    Und nur wer Schrecken macht, kann andre führen.
    Verhaßt ist mirs schon, selber mich zu führen!



    Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,
    mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
    in holder Irrnis grüblerisch zu hocken,
    von ferne her mich endlich heimzulocken,
    mich selber zu mir selber – zu verführen.


    Musik: Ulrike Theusner