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Harald Martenstein gilt als einer der populärsten Kolumnisten im deutschen Sprachraum. Er schreibt seit vielen Jahren für die „Zeit“, seit Kurzem auch für die „Welt am Sonntag“. Sein Markenzeichen ist die feine Ironie, mit der er sich die Ereignisse auf der Welt – und vor allem im deutschen Teil der Welt – vorknöpft.
Mit der Agenda Austria ist Harald Martenstein seit langem freundschaftlich verbunden. Zum 10. Geburtstag kam er deshalb nach Wien und hielt eine launige Festrede. Bei dieser Gelegenheit entstand auch der Podcast.Harald Martenstein kommt politisch von weit links. In seiner Jugend war er sogar Mitglied der DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Mittlerweile gilt er mit seinen Ansichten links der Mitte als Störenfried. Was ist da passiert? „Aus meiner Jugend kenne ich ganz viele gestandene Linke, die heute ähnlich denken wie ich“, sagt Martenstein. „Wir post-68er waren ganz stark antiautoritär eingestellt. Bei uns galt noch das Ideal der Freiheit. Die Leute sollten leben dürfen, wie sie wollen. Heute haben wir es viel stärker mit einer autoritären Linken zu tun.“ Seine einstige Sympathie für den Kommunismus lasse sich damit aber nicht erklären, gibt Martenstein zu. Die beste Begründung dafür: „Ich war mit 17 nicht der große politische Durchblicker.“
Deutschland befinde sich derzeit auf einem sonderbaren Weg, findet der Kolumnist. Einerseits werde die Stärke dieses Landes, die industrielle Basis, von Teilen der Regierung regelrecht bekämpft. Und gesellschaftspolitisch sei eine neue Lust am Bespitzeln und Vernadern erkennbar. „Es gibt ungefähr 100.000 Meldestellen für sexistische, rassistische, antifeministische Bemerkungen oder Verhaltensweisen. Das macht mich fassungslos.“ Zumal es explizit um nicht strafrechtlich relevante Vorwürfe gehen soll. „Die Zeiten haben sich geändert, sind illiberal geworden.“
Letzteres wirke sich auch auf den Humor aus, meint Martenstein. Der einstige Late-Night-Talker Harald Schmidt habe den richtigen Zeitpunkt erwischt, um zu gehen. Stattdessen gibt es nun Jan Böhmermann – von dem der Kolumnist allerdings nicht viel hält: „Das ist die Art von Humor, die ich nicht mag. Auf dem Feldherrenhügel stehen und den Leuten sagen, was gut ist und was böse. Das Gegenmodell zu Böhmermann ist für mich Gerhard Polt. Böhmermann erreicht nur Gleichgesinnte. Was Polt macht, hat Wirkung auf die Leute, die gemeint sind.
Und warum hält der Ex-Kommunist Martenstein beim Fest der wirtschaftsliberalen Agenda Austria eine Lobrede auf den Kapitalismus? „Die Leute werden sagen, jetzt ist er da angekommen, wo er hingehört.“
Harald Martenstein, 70
Der gebürtige Mainzer gehört zu den populärsten Kolumnisten und Journalisten im deutschen Sprachraum. Seine Texte wurden vielfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis und dem Henri-Nannen-Preis. Martenstein hat auch mehrere Romane verfasst, sein bis dato jüngstes Werk („Wut“) erschien 2021. -
Die jüngsten Krisen haben im österreichischen Staatshaushalt tiefe Spuren hinterlassen. In nur drei Jahren stiegen die Schulden der Republik von 316 auf 361 Milliarden Euro. In der Schweiz gibt es seit mehr als 20 Jahren eine Schuldenbremse. 85 Prozent der Bevölkerung sprachen sich damals dafür aus, die Politiker zur Budgetdisziplin zu zwingen. Im Podcast der Agenda Austria erzählt der Ökonom Christoph Schaltegger, wie es dazu kam, wie die Schuldenbremse funktioniert und welche Effekte sie hat.
Die Schweizer Schuldenbremse sei relativ simpel gestrickt, sagt Schaltegger. „Es wird geschätzt, wie hoch die Einnahmen des kommenden Jahre sein werden. Läuft die Konjunktur gut, muss ein bisschen mehr eingenommen als ausgegeben werden. In einer Rezession ist es umgekehrt. Aber der Deckel muss eingehalten werden.“
Corona sorgte natürlich auch in der Schweiz zu stark erhöhtem Finanzbedarf. Wie vertrug sich das mit dem Ausgabenlimit? „Das Design der Schuldenbremse gibt die Möglichkeit, in gewissen Situationen das Limit zu erhöhen. Solche Ausgaben werden außerordentlich verbucht und müssen außerordentlich abgetragen werden.“ Auch das unterliege einem strengen Reglement.Die Schuldenbremse ist in der Schweiz nicht unumstritten. Einige Ökonomen sehen das Instrument seit je her kritisch. Die lange Zeit sehr niedrigen Zinsen hätten auch in seiner Heimat die Debatte befeuert, ob man beim Schuldenmachen nicht etwas großzügiger sein könnte, berichtet Christoph Schaltegger. Just Ende des Jahres 2019 stellte der Bundesrat eine Expertengruppe zusammen, die ausloten sollte, ob angesichts der komfortablen Zinsen und des Wirtschaftswachstums nicht mehr Spielraum für Ausgaben eröffnet werden solle.
Nicht erst seit Corona ist spürbar, dass die Erwartungen der Bürger an den Staat enorm gestiegen sind. Kaum wird es schwierig, soll die Politik helfen. Wie kommen Regierungen da wieder heraus? Letztlich sei der Staat ja dafür da, in Krisen helfend einzugreifen, räumt Christoph Schaltegger ein. Nach seinem persönlichen Empfinden sei die Grenze zwischen Ausnahmesituationen und konjunkturell normalen Zeiten aber immer mehr verschwommen. „Heute ist praktisch Dauerkrise. Deshalb haben einzelne Gruppen immer die Möglichkeit, ihre speziellen Interessen zum Allgemeingut zu machen. Wenn das Schule macht, tun es alle. Das ist eine gefährliche, zersetzende Kraft in einer Demokratie.“ Arbeitgeber seien da übrigens um keinen Deut anders als Unselbständige. „Das habe ich als Ökonom früh gelernt: Die Unternehmen sind kein Hort des ordnungspolitischen Gewissens. Wenn ein Unternehmer merkt, dass er vom Staat profitieren kann, wird er das gerne tun“, sagt Schaltegger.
Nach mehreren Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank stellt sich die Frage, ob alle Euroländer ihre enormen Schulden langfristig noch bedienen können. Schaltegger sieht ein gewisses Risiko, dass es zu einer neuen europäischen Schuldenkrise kommen könnte. „Die Bruttoschulden einzelner Länder übertreffen bereits den Stand während des Zweiten Weltkriegs. Und bekanntlich gab es nach dem Krieg einige Staatsinsolvenzen.“
Christoph Schaltegger, 51
Der gebürtige Basler ist Professor für politische Ökonomie an der Universität Luzern und Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP). Er hat mehrere Bücher geschrieben, publiziert regelmäßig in der „Neuen Zürcher Zeitung“ und gehört zu den einflussreichsten Ökonomen des Landes. Am 19. Juni hielt er in der Agenda Austria einen Vortrag über die Schuldenbremse in der Schweiz.
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Angeblich bleiben uns nur noch ein paar Jahre, um die Erderwärmung zu bremsen. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, die Verbrennung fossiler Energie zu stoppen, wird die Erde zu einem glühend heißen, in weiten Teilen unbewohnbaren Ort. So lautet die Erzählung von Aktionsgruppen wie der Letzten Generation.
Vince Ebert, Physiker und Kabarettist, hält im aktuellen Podcast der Agenda Austria dagegen: Einige Wissenschaftler und die Medien hätten den Mythos aufgebracht, dass die Erde vor dem Kollaps stehe. „Aber das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Auch der Weltklimarat spricht nicht von einem Mad-Max-Szenario“, sagt Ebert. „Natürlich bin auch ich der Meinung, dass wir ein Problem haben. Aber wie wir in den westlichen Industrienationen damit umgehen – runterfahren, verzichten, reduzieren – das ist wenig zielführend.“
Ohnehin werde die Entscheidung über den Klimawandel nicht in Westeuropa getroffen, sondern in Lateinamerika und in Südostasien. An unserer Verzichts-Ideologie würden sich diese Staaten sicher kein Vorbild nehmen, meint Ebert. „Die einzige konstruktive Herangehensweise wäre für mich, so attraktive Technologien zu entwickeln, dass die anderen Länder sagen, das wollen wir auch.“ Ganz allgemein müsse man über den Klimawandel und die erforderlichen Maßnahmen dagegen eine offenere Debatte führen, glaubt der gelernte Naturwissenschaftler. So wie es jetzt laufe, sei ihm der Diskurs viel zu sehr moralisch aufgeheizt.
Vince Ebert hat über den Umgang mit der Erderwärmung ein informatives und dabei sehr unterhaltsames Buch geschrieben. Es trägt den Titel „Lichtblick statt Blackout: Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen.“ Ein wesentlicher Fehler besteht für ihn etwa darin, dass die Politik gerne den Eindruck erwecke, erneuerbare Energieträge wie Wind und Sonne könnten mittelfristig den gesamten Strombedarf decken. Dabei ginge in Deutschland bei einer sogenannten Dunkelflaute (also einer Phase ohne Wind und Sonnenschein) schon nach 40 Minuten das Licht aus. „Wir haben in Deutschland einen Tagesverbrauch von etwa 1,4 Terawattstunden Strom, und wir können mit Pumpspeicherkraftwerken, also mit großen Stauseen, nur etwa 40 Gigawattstunden speichern. Mehr ist nicht drin, und technologisch hatte man bisher auch keine Idee, wie das zu ändern wäre“, rechnet Ebert vor. „Deshalb macht es für mich überhaupt keinen Sinn, ein Windrad oder einen Solarpark mehr zu bauen, solange dieses Problem nicht gelöst ist.“
Er wünsche sich von der Politik mehr Ehrlichkeit, sagt Vince Ebert im Podcast. „Manches ist einfach schwer oder noch gar nicht erreichbar. Das sollte man den Leuten sagen. Es ist viel schlimmer, rumzuhampeln und so zu tun, als wäre es eigentlich kein Problem. Dadurch verlieren Sie Glaubwürdigkeit.“ Auch Verzichtsappelle sind seiner Meinung nach nicht zielführend, weil sie meistens von Menschen kämen, die sich sowieso alles leisten könnten. „In dieser Aktivistenszene sind vorwiegend Jugendliche aus großbürgerlichen Haushalten. Aber die hohen Strompreise treffen vor allem Leute, die jeden Monat überlegen müssen, wie sie mit ihrem Geld über die Runden kommen.“
Für die Protestaktionen der jüngeren Vergangenheit zeigt Ebert trotzdem Verständnis. „Es ist das Privileg der Jugend, übers Ziel hinauszuschießen. Wer heute 20 Jahre alt ist, hat ein Leben lang nur gehört, dass die Welt bald untergehen wird. Da verstehe ich, dass ein paar dieser jungen Leute durchdrehen und sagen, der Zweck muss jetzt die Mittel heiligen.“
Vince Ebert, 55
Der gebürtige Deutsche hat an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg ein Physikstudium abgeschlossen und war bayerischer Meister im Beachvolleyball. Seit über 20 Jahren ist Ebert als Kabarettist und Moderator erfolgreich. Er hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt „Lichtblick statt Blackout: Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen“. Vince Ebert lebt in Wien.
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Die Politik verspricht das baldige Ende des fossilen Zeitalters. Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung werde es gelingen, (fast) ausschließlich Energie aus Sonne, Wind und Wasser zu verwenden. Doch die Realität sieht anders aus, sagt Florian Haslauer, Partner und Geschäftsführer des Consultingunternehmens e.venture, im aktuellen Podcast der Agenda Austria.
Österreich habe durch einen höheren Anteil an Wasserkraft bessere Bedingungen als Deutschland. Dennoch würden 100 Prozent Ökostrom (bilanziell) immer noch bedeuten, dass tausende Stunden im Jahr mit anderen Energiequellen bedient werden müssen – zum Teil wohl mit Atomstromimporten aus dem europäischen Ausland. Das größte Problem von Strom aus Sonne und Wind liege ja auf der Hand: Die Produktion funktioniert nur bei entsprechender Wetterlage. „Sie haben zu manchen Zeiten viel zu viel Strom und zu anderen Zeiten viel zu wenig“, erklärt der Experte.
Schon jetzt gebe es vor allem im Sommer Tage mit enormer Überproduktion. Dann müssen die Netzbetreiber Windkraftanlagen vom Netz nehmen. „Oder die deutsche Bahn heizt im Sommer Weichen, um den Strom zu verbrauchen. Bei einem Überangebot, also bei negativen Preisen, wird sie dafür sogar bezahlt.“ Es gebe aber auch intelligentere Wege, den Überschuss zu verwerten, räumt Haslauer ein. „In der Zukunft eine größere Rolle spielen wird sicher die Erzeugung von grünem Wasserstoff mit diesem Überschussstrom. Das könnte einen wichtigen Beitrag leisten.“
„Die Sonne schickt keine Rechnung“, sagt Umweltministerin Leonore Gewessler gerne, wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energie geht. Das stimmt natürlich. Aber heißt es auch, dass der Strom für die Kunden immer billiger wird, je größer der Anteil von Sonne, Wind und Wasserkraft wird? Leider nein, sagt Haslauer. „Wir hatten lange einen sehr niedrigen Strompreis, zwischen 30 und 40 Euro pro Megawattstunde oder drei bis vier Cent je Kilowattstunde. Wir erwarten für die Zukunft einen Preis von 100 bis 120 Euro je Megawattstunde, als das zwei- bis zweieinhalbfache. Aus meiner Sicht werden wir damit leben müssen. Allein die Erneuerbaren haben Gesamtkosten zwischen 60 und 100 Euro pro Megawattstunde. Die Sonne schickt zwar keine Rechnung, aber der Installateur tut es und der Hersteller der Photovoltaik-Paneele.“ Es werde der Politik möglicherweise auf den Kopf fallen, dass sie seit Jahren praktisch das Gegenteil behaupte, befürchtet Haslauer. Die viel gescholtene Merit-Order ist in seinen Augen übrigens nach wie vor ein sinnvolles System. „Es bildet die Angebotskurve ab und liefert Preissignale – kurzfristig und langfristig. Die Alternative wäre ein planwirtschaftliches System, und da frage ich mich, wie man das organisieren will.“
Grundsätzlich sei die Umstellung auf Strom sinnvoll, meint der Experte, weil die Effizienz der eingesetzten Energie in der Regel höher sei als bei Öl und Gas. „Das heißt, insgesamt reduzieren wir den Energieverbrauch. Aber wir werden natürlich viel mehr Strom brauchen als jetzt, die Menge wird sich fast verdoppeln. Und damit braucht man auch mehr Backup-Kapazitäten.“
Die Debatte über die Energiewende sei zum Teil leider stark ideologiegetrieben, kritisiert Haslauer. Er hoffe aber sehr, dass sich zunehmend die Fakten durchsetzen werden. Die Bürger müssten sich wohl mit ein paar unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen: „Eine Umstellung des Systems auf Erneuerbare wird die Kosten nicht senken, sondern erhöhen. Wir gehen davon aus, dass wir in Österreich bis 2030 von einer zweistelligen Milliardensumme reden. Das ist stemmbar, aber wir können nicht erwarten, dass alles der Staat zahlt.“
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Leigh Turner war britischer Botschafter in der Ukraine und in Österreich und lebte auch lange in Russland. Seine Erfahrungen als Diplomat verarbeitete er nun in einem unterhaltsamen und lehrreichen Buch. „The Hitchhiker´s Guide to Diplomacy“ verknüpft Einblicke in die Welt der Diplomatie mit persönlichen Erlebnissen des Autors. Turners erste Dienststelle im Ausland war Wien, wo er Mitte der 1980er-Jahre als Botschaftsrat arbeitete. Sein letzter Posten als Botschafter war ebenfalls Wien, von 2016 bis 2021. Im aktuellen Podcast der Agenda Austria erzählt Turner, wie sich Österreich in den 30 Jahren zwischen seinen zwei Aufenthalten verändert hat. Und er erklärt, warum die europäische Politik gegenüber Wladimir Putin in seinen Augen völlig falsch war.
„Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Boris Johnson 2016 in Wien“, berichtet Turner. „Wir haben über die Ukraine und die Krim diskutiert. Ich habe gesagt: Der beste Weg, um zu verhindern, dass Russland die Ukraine noch einmal angreift, wäre die Bewaffnung der Ukraine. Das ist die einzige Sprache, die Russland versteht. Leider ist das bis 2022 nicht geschehen. Der beste Weg, um diesen Krieg zu verhindern, wäre eine Aufnahme der Ukraine in die NATO gewesen, schon 2008.“
Solange Putin an der Macht sei, werde es auch nach dem Krieg sehr schwierig, mit Russland einen Modus der Zusammenarbeit zu finden, meint der Diplomat. „Wir versuchen das seit Jahrzehnten. Boris Johnson ist 2017 als Außenminister nach Moskau gefahren, um einen Reset der Beziehungen zu versuchen. Die Antwort darauf war die Vergiftung von Sergei Skripal in Großbritannien.“
Persönlich erlebt hat Turner eines der größten Probleme sowohl in Russland, als auch in der Ukraine – die Korruption. Das sei ein Relikt aus sowjetischen Zeiten, sagt der Diplomat. „Damals war es vielleicht mehr eine Freunderlwirtschaft als klassische Korruption. Das abzubauen ist extrem schwierig. Es hat auch damit zu tun, dass die Privatisierungen in beiden Ländern sehr schlecht gelaufen sind. Das Vermögen ist in den Händen weniger Menschen konzentriert.“
Ganz grundsätzlich habe er versucht, Lektionen aus der Diplomatie zu ziehen, sagt Turner über sein Buch. Er sei immer der Meinung gewesen, dass man nicht alles in seinem Metier tierisch ernst nehmen müsse. „Auf der einen Seite hat man natürlich viel Verantwortung, vor allem als Botschafter. Auf der anderen Seite muss man immer wieder einen Schritt zurück machen und sich denken, ‚Mann, ist es nicht erstaunlich, dass ich hier bin? Ich sollte es genießen.’“
Zur Person: Leigh Turner, 65
Der Sohn eines Universitätsprofessors und einer Lehrerin wuchs in Nigeria, Großbritannien und Lesotho auf. Nach dem Studium begann er Anfang der 1980er-Jahre eine Karriere im diplomatischen Dienst, die ihn quer durch Europa führen sollte. Unter anderem war er britischer Botschafter in der Ukraine, Generalkonsul in der Türkei und Botschafter in Wien. Turner ist auch als Schriftsteller tätig und verfasste unter dem Pseudonym Robert Pimm mehrere Krimis. Im Czernin Verlag erschien vor kurzem „The Hitchhiker´s Guide to Diplomacy“.
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Die Silicon Valley Bank in Kalifornien ging vor Kurzem pleite, die Credit Suisse in der Schweiz musste mit dem größten Mitbewerber, der UBS, fusioniert werden, um nicht ebenfalls in die Insolvenz zu rutschen. Geht das jetzt so weiter? Folgen womöglich noch größere Crashs? Die schwere Finanzkrise von 2008 schien eigentlich überwunden, die Banken seien nun besser gegen Krisen gewappnet als vor der Krise, hieß es. Offenbar stimmt das nicht ganz. Was sollen ganz normale Bankkunden jetzt tun? Anworten gibt die Finanzexpertin Monika Rosen im aktuellen Podcast der Agenda Austria.
„Ich würde sagen, dass sich die Lage deutlich beruhigt hat. Die Maßnahmen, die auf beiden Seiten des Atlantiks gesetzt wurden, waren dazu angetan, das Vertrauen in den Finanzplatz zu stärken“, meint Monika Rosen. Ganz ausschließen könne man weitere Turbulenzen natürlich nicht, aber die Handlungen der Behörden hätten eindeutig gezeigt, dass man die Lektion von 2008 gelernt habe und sofort eingreift, um einen Dominoeffekt zu verhindern.
Für Verunsicherung sorgte nicht zuletzt der Umstand, dass ausgerechnet die als besonders sicher geltenden Staatsanleihen derzeit ein Problem für die Banken darstellen können. Wegen der rasanten Zinserhöhungen verloren Papiere mit langer Laufzeit nämlich an Kurswert. Dieses Risiko sei wohl unterschätzt worden, sagt Monika Rosen. „Die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen sorgte hier für Verwerfungen.“ Allerdings geht sie davon aus, dass die massiven Interventionen der Notenbanken bald zu Ende sein werden. Sowohl die EZB als auch die FED würden wohl noch einen Zinsschritt setzen – und danach erst einmal eine Pause einlegen.
„Das ist auch einer der Gründe, warum sich der Aktienmarkt relativ rasch erfangen hat. Diese Fantasie beflügelt die Kurse und könnte zu einer nachhaltigen Verbesserung der Stimmung an den Märkten führen“, sagt Rosen. Auch die Teuerung zeige bereits Abkühlungstendenzen. „Die Frage ist jetzt nur, wie schnell sich die Inflation nachhaltig nach unten drücken lässt. Da gehen die Meinungen derzeit noch auseinander.“
Offen sei auch noch, ob eine Rezession droht. „Gerade in den USA wird das derzeit intensiv diskutiert. Wir haben sehr wohl noch Baustellen. Aber wenn die Zinserhöhungen ein Plateau erreicht haben, könnte es an den Börsen wieder bergauf gehen. Denn eines zeigt sich im langfristigen Vergleich ja auch: Die Aktienmärkte drehen, bevor es die Konjunktur tut.“
Die Finanzkrise von 2008 sei für sie persönlich die anstrengendste, herausforderndste Zeit ihrer gesamten Berufslaufbahn gewesen, erzählt die einstige Chefanalysten der Unicredit/Bank Austria. Dennoch habe sie nie an einem letztlich guten Ende der Turbulenzen gezweifelt, sagt Rosen. „Ich war immer davon überzeugt, dass es gelingen wird, die Schwierigkeiten zu überwinden, und so kam es dann ja auch.“
Die neue UBS bringt es auf eine Bilanzsumme von 1,6 Billionen Franken, mehr als das Doppelte der Schweizer Wirtschaftsleistung. Kritiker der Fusion mit der Credit Suisse warnen, dass die Rettung einer solchen Riesenbank wohl nicht möglich sein würde. Monika Rosen widerspricht: „Auch eine Bank dieser Größenordnung ist keine Insel, sondern sie agiert auf einem internationalen Feld. Am Ende des Tages müssten dann auch internationale Kräfte bei der Rettung helfen, was im Fall des Falles sicher passieren würde.“ Alle Maßnahmen der vergangenen Wochen zeigen aus Sicht der Expertin, dass Bankkunden keinen Grund haben, sich Sorgen zu machen. „Die Einlagen sind sicher.“
Monika Rosen, 61Die Finanzexpertin war über 20 Jahre lang Chefanalystin der Bank Austria. Seit ihrer Pensionierung im Vorjahr hält sie Vorträge, schreibt Kolumnen und ist als Vizepräsidentin der Österreichisch-amerikanischen Gesellschaft aktiv.
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Fast alle Corona-Maßnahmen sind beendet, der Alltag läuft wieder wie vor der Pandemie. Was noch fehlt, ist eine seriöse Bilanz. Haben sich die strengen Maßnahmen gelohnt? Wie gut hat Österreich Corona alles in allem gemeistert? Nicht gut, sagt der Ökonom Martin Halla, der die Einschränkungen und deren Wirkung in Österreich, Deutschland, der Schweiz und in Schweden miteinander verglichen hat. Über die Details der Studie und über seine persönlichen Eindrücke in den vergangenen drei Jahren erzählt er im aktuellen Podcast der Agenda Austria.
Strenger und sehr viel teurer, aber im Endeffekt nicht besonders erfolgreich: So lässt sich die österreichische Coronapolitik für Martin Halla zusammenfassen. „Das viel kritisierte Schweden mit seinen lockeren Pandemiemaßnahmen ging aus der Pandemie mit der geringsten Übersterblichkeit hervor“, sagt der Ökonom. Spitze war Österreich dafür bei den Kosten: „Für Unternehmensförderungen haben wir 2020 pro Person fast 1500 Euro ausgegeben. In der Schweiz waren es 82, in Schweden und Deutschland jeweils rund 500 Euro. Wir sind da also in einer ganz anderen Liga.“
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Zahl der Tage mit geschlossenen Schulen: „Wir haben die meisten Schließtage, die Schweiz hatte in meinem Vergleich am wenigsten. In Schweden gab es einen Unterschied zwischen Unter- und Oberstufe; Distanzunterricht hatten nur die älteren Kinder. Und selbst in Deutschland waren die Schulen weniger lange geschlossen als bei uns.“ Besonders absurd fand Familienvater Halla, wie stark die Realität von der politischen Erzählung abwich. „Mein Sohn war eigentlich ständig in der Schule, es wurde nur nicht unterrichtet, sondern es gab lediglich eine Betreuung. In seiner Klasse herrschte fast normaler Betrieb.“Bis heute sei es mitunter sehr schwierig, an belastbare Fakten zu kommen, sagt der Experte. Und zwar auch dann, wenn es sich nicht um Details handelt, die vielleicht dem Datenschutz unterliegen könnten. Noch bevor die unselige Impfpflicht beschlossen wurde, hatten etwa die Bundesländer Briefe an alle Ungeimpften verschickt, in denen diesen ein fixer Impftermin mitgeteilt wurde. Aus Sicht der Politik wäre es doch nicht uninteressant zu wissen, ob diese simple Maßnahme funktionierte oder nicht, meint Halla. „Ich versuche gerade mit einem Kollegen von der WU, das zu evaluieren. Wir bräuchten die Info, welcher Bezirk wann diese Briefe verschickte und wie viele Menschen sich daraufhin dort impfen ließen. Leider ist es eine irrsinnig mühsame Kleinarbeit, diese Information zu bekommen – obwohl wir die Auswertung natürlich gratis machen würden. Aber da sind wir wieder beim Thema: Man schaut nicht, ob etwas funktioniert hat oder nicht.“
Auch wenn die Pandemie jetzt vorbei ist, wirken die Coronajahre nach, glaubt Halla. „Das Vertrauen in den Staat ist gesunken. Das war überall so, besonders stark aber in Österreich. Viele Menschen haben den Glauben an die Politik verloren.“ Auch deshalb sei es nun wichtig, diese Zeit gründlich aufzuarbeiten.
Martin Halla, 43
Der Oberösterreicher studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. Nach der Promotion war er Gastwissenschafter an der Stockholm University und an der University of California in Berkeley. Seit Herbst 2017 leitet er die Abteilung für Wirtschaftspolitik am Institut für Volkswirtschaftslehre an der JKU. Halla ist Experte für angewandte Mikroökonometrie und gut gebuchter Gastautor in österreichischen Medien. Seine Corona-Untersuchung erschien erstmals im Magazin „Der Pragmaticus“.
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Unser Wirtschaftssystem hat ein Imageproblem. Der Klimawandel, die Kluft zwischen Arm und Reich, jetzt auch noch eine neue Bankenkrise: Schuld an all dem sei der Kapitalismus, glauben immer mehr Menschen. Andererseits gab es auf der Welt noch nie so viele Menschen, die in – zumindest bescheidenem – Wohlstand lebten und noch nie so wenige, die hungern mussten. Irgendetwas macht der Kapitalismus also wohl auch richtig. Im aktuellen Podcast der Agenda Austria erklärt der Historiker Werner Plumpe, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt und erfolgreicher Buchautor, warum die kapitalistische Ordnung bisher alle Krisen überstanden hat.
Einerseits komme der Kapitalismus der Natur des Menschen offenbar sehr entgegen. „Er bietet Möglichkeiten, sich zu bereichern oder Geltung zu erlangen. Für die breite Masse macht der Kapitalismus aber einfach die Regale in den Supermärkten voll und ermöglicht ihnen ein hintergrundentlastetes Leben.“ Also ein Dasein ohne täglichen Überlebenskampf. „Die Reichen hatten immer schon alles, sie brauchen keine industrielle Güterproduktion. Kapitalismus ist letztlich kapitalintensive Massenproduktion für große Märkte, auf denen der einzelne Konsument nicht reich genug ist, um sich teure Handarbeit zu leisten.“
Dass nun wieder die Angst vor einer Finanz- und Bankenkrise umgeht, ist für Plumpe Indiz für einen Fehler im System. „Die Risiken der Akteure für solche windigen Geschäfte müssten steigen. Das ist das Problem, das wir seit der Finanzkrise von 2008 haben: Der Staat beziehungsweise die Zentralbank greifen ein. Dieses Retten großer Akteure ist nicht gut. Eine effektive kapitalistische Ökonomie, in der Fehlverhalten auch wirklich sanktioniert wird, wäre immer noch die beste Variante.“
„System change not climate change“, steht auf den Transparenten von Klimaaktivisten. Nur wenn sich das Wirtschaftssystem von Grund auf ändere, sei die Welt noch zu retten, glauben viele. Werner Plumpe widerspricht: „Ich würde die technologische Dynamik des Kapitalismus nicht unterschätzen. Joseph Schumpeter sprach sehr richtig von der schöpferischen Zerstörung. Der Kapitalismus ist permanente Erneuerung.“ Man könnte dem Wirtschaftssystem höchstens ankreiden, dass es in den vergangenen zwei Jahrhunderten ein enormes Bevölkerungswachstum ermöglicht habe – das natürlich den Ressourcenverbrauch beschleunigte. „Um 1800 hat ein Bauer etwa vier weitere Menschen ernährt, heute liegt das Verhältnis bei 1 zu 125. Die Klimaaktivisten müssten mir mal erklären, wie sie mit ihren Vorstellungen von Ressourcenverbrauch die Weltbevölkerung ernähren wollen“, sagt der Experte.
Die kapitalistische Marktwirtschaft erwies sich in allen Krisen und sämtlichen Anfeindungen zum Trotz bisher als erstaunlich zäh und stabil. Doch jetzt könnte es gefährlich werden, meint Plumpe. „Wir leben in einer Welt, die den Kapitalismus aus politischen Gründen nicht will. Die Energiewende in Deutschland – nur als Beispiel – hat dazu geführt, dass es keinen funktionsfähigen Energiemarkt mehr gibt. Ein großer Teil der Bevölkerung geht auch keiner Erwerbsarbeit mehr nach und lebt von staatlichen Transferleistungen. Wir halten Unternehmen am Leben, die längst nicht mehr Leben sein sollten. Wir haben eine öffentliche Meinung, die dem Markt misstraut. Das alles könnte für den Kapitalismus zu einer echten Gefahr werden.“
Werner Plumpe, 68Der deutsche Historiker ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt/Main. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter „Das kalte Herz“, eine große Geschichte des Kapitalismus. Werner Plumpe war Vorsitzender des Deutschen Historikerverbands und wurde 2014 mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.
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Mehr als 200.000 Jobs in österreichischen Betrieben wären sofort zu besetzen – wenn sich Bewerber finden ließen. Der Personalmangel wird immer größer. Ein wesentlicher Grund dafür ist die hohe Teilzeitquote, vor allem bei Frauen. Gut die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Österreich arbeiten Teilzeit. In manchen Altersgruppen geht dieser Wert sogar über 70 Prozent hinaus.
Warum ist das so? Auskunft gibt Elisa Aichinger, die beim Beratungsunternehmen Deloitte für den Bereich „soziale Innovation“ zuständig ist – also Unternehmen zum Beispiel beim Umgang mit dem Arbeitskräftemangel berät.
Betreuungspflichten seien noch immer der Hauptgrund, wenn Frauen Teilzeit arbeiten, sagt die Expertin im Podcast. „Aber es gibt auf dem Arbeitsmarkt auch eine Werteverschiebung. Die Frage ist für viele Menschen, wie viel Platz die Arbeit im Leben haben soll.“ Frauen seien davon auch deshalb stärker betroffen, weil sie öfter in Branchen mit geringeren Löhnen tätig sind. Dazu komme, dass Frauen die eigenen Karrierechancen oft als geringer einschätzen. „Auch das kann dazu führen, dass die Entscheidung für Teilzeit leichter fällt“, erklärt Aichinger.
Was sagt die Beraterin Unternehmern, die nicht wissen, wie sie ihre offenen Stellen besetzen sollen? „Die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt haben sich umgekehrt. Unternehmen müssen heute wirklich darüber nachdenken, wie sie als Arbeitgeber attraktiv werden“, sagt Elisa Aichinger. Dafür sei es wichtig, mit dem Markt zu kommunizieren und ein authentisches Bild des eigenen Betriebs zu vermitteln. Aichinger rät Personalchefs, nicht nur nach fix und fertig ausgebildeten Mitarbeitern zu suchen, sondern nach Menschen mit Potenzial, die noch etwas lernen wollen. -
Strom und Gas sind zu Luxusartikeln geworden, sämtliche Anbieter haben die Vorschreibungen kräftig erhöht. Die Kunden reagieren auch deshalb sauer, weil die Preise im Großhandel und an den Börsen zuletzt gesunken sind. Offenbar haben die Konzerne keinen Grund, das in ihrer Kalkulation zu berücksichtigen. Auch für die massive Teuerung von Strom aus erneuerbaren Quellen wie etwa Wasser oder Wind gibt es auf den ersten Blick keine vernünftige Erklärung.
Im aktuellen Podcast der Agenda Austria gehen wir diesen Ärgernissen auf den Grund. Gesprächspartner ist Michael Böheim, Ökonom und Energiemarktexperte am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Er habe in den vergangenen Monaten gelernt, „dass es Verwerfungen geben kann, bei denen unser Modell des Marktdesigns nicht mehr ganz tragfähig ist und man gegebenenfalls über Reformen nachdenken muss“, sagt Böheim gleich zu Beginn des Gesprächs. Grundsätzlich funktioniere der Energiemarkt aber – nur nicht ganz so, wie es sich die Kunden wünschen würden.
Michael Böheim, 53Als WIFO-Ökonom forscht er vor allem in den Bereichen Wettbewerbsökonomie, öffentliche Wirtschaft und Energiemarkt. Böheim hat drei Studien absolviert – Betriebs- und Volkswirtschaft (wo er auch promovierte), Rechtswissenschaften sowie Philosophie. Er ist Lektor an der WU, Gutachter für das Kartellgericht und Mitglied der österreichischen Wettbewerbskommission.
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2022 wird als besonders schwieriges Jahr in Erinnerung bleiben, in dem scheinbar alles schief ging. Dennoch wuchs die Wirtschaft in Österreich um fast fünf Prozent, mehr als doppelt so stark wie in Deutschland. Auch die Aussichten für das laufende Jahr wurden zuletzt besser, mit einer tiefen Rezession rechnet kaum noch jemand. Warum läuft es jetzt doch besser als erwartet?
Antworten auf diese und viele weitere Fragen gibt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, im aktuellen Podcast der Agenda Austria. Es bestehe derzeit tatsächlich Grund für „konjunkturelle Zuversicht“, meint der renommierte Volkswirt. „Die nächsten sechs Monate werden noch sehr schwierig werden. Aber der Aufschwung wird uns in der zweiten Jahreshälfte oder spätestens 2024 erwarten.“
Den Hauptgrund für die verbesserte Prognose sieht Helmenstein in den enormen staatlichen Hilfspaketen: „Damit konnte die Konjunktur soweit stabilisiert werden, dass wir in der Tat jetzt mit einer Stagflation rechnen können, nicht mehr mit einer Rezession. Wir haben uns Wirtschaftswachstum und Stabilität auf Kosten künftiger Generationen erkauft.“ Ein Konzept für die Zukunft sei das natürlich nicht. Würde man auf diesem Weg weitergehen, käme man irgendwann an die Grenzen des möglichen Verschuldungsgrades.
Dass die Wirtschaft in Österreich zuletzt so viel besser lief als in Deutschland, erklärt der Ökonom vor allem mit dem unterschiedlichen Branchenmix. „Die deutsche Wirtschaft hat enorm unter der Schwäche der Autoindustrie gelitten, die schon seit 2018 anhält. Das haben wir in Österreich so nicht. Wir sind gut diversifiziert. Daneben haben wir auch noch einen starken Tourismus.“ Aber Deutschland werde sich bald wieder erfangen, glaubt Helmenstein. Nicht zuletzt dank einer neu durchstartenden Autoindustrie.
Nicht eingetreten ist zum Glück auch der befürchtete Energienotstand. Niemand muss in einer kalten Wohnung sitzen, keine Fabrik wurde wegen Energiemangels dichtgemacht. Für Helmenstein liegt das an mehreren Faktoren: „Furcht kann ja auch ein guter Hinweisgeber für tragfähige Entscheidungen sein“, sagt er. „Das scheint mir passiert zu sein. Wir haben alles daran gesetzt, die Bezugsquellen zu diversifizieren. Eine Zeitlang kamen auch noch beträchtliche Mengen Gas aus Russland. Außerdem haben wir Glück gehabt; der Winter war bisher mild. Und schließlich zeigt sich, dass die Marktwirtschaft funktioniert. Die Preissignale wurden richtig verstanden, es kam zu Einsparungsmaßnahmen.“
Der herrschende Arbeitskräftemangel werde die Industrie wohl noch eine Zeitlang vor Probleme stellen. Doch auch in diesem Bereich setzt der Ökonom auf die Kraft des Marktes. Seit Jahren gebe es Klagen über zu geringe Produktivitätszuwächse. Der ausgedünnte Arbeitsmarkt sei jetzt ein guter Grund, sich diesem Thema zu widmen, erklärt Helmenstein im Podcast der Agenda Austria: „Innovative Unternehmerinnen und Unternehmer werden darüber nachdenken, wie sie die Produktivität ganz massiv steigern können. Dadurch entstehen auch neue Einkommensperspektiven für die Beschäftigten.“
Nur bedingt gute Nachrichten hat der IV-Ökonom, was die weitere Entwicklung der Inflation betrifft. „Wir werden nicht so schnell vom hohen Niveau herunterkommen. Die neuesten Prognosen sagen, dass wir in der Eurozone das Zwei-Prozent-Ziel nicht vor 2025 erreichen werden.“ Es könne aber auch länger dauern. Aus der Industrie kämen unterdessen bereits dämpfende Effekte. „Die Zuwachsraten bei den Industriegüterpreisen gehen schon deutlich zurück.“
Christian Helmenstein, 56
Der gebürtige Deutsche studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Köln und promovierte in Bochum. Er war am Institut für Höhere Studien tätig und ist seit 2004 Chefökonom der Industriellenvereinigung. Helmenstein leitet auch den unabhängigen internationalen Forschungsverbund Cognion, zu dem etwa das Economica Institut für Wirtschaftsforschung gehört.
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Die Zusammenarbeit mit China ist für den Westen zuletzt schwieriger geworden. Präsident Xi Jinping tritt enorm machtbewusst auf, und China verweigert sich den westlichen Sanktionen gegen Russland. Was sollte der Westen tun, falls China wirklich eines Tages im demokratischen Taiwan einmarschiert? Und wie ist der radikale Schwenk in der Coronapolitik zu interpretieren?
Susanne Weigelin-Schwiedrzik war viele Jahre lang Sinologin an der Uni Wien und gilt als ausgewiesene Expertin für die chinesische Politik, Wirtschaft und Lebensart. Sie warnt im Podcast der Agenda Austria davor, die – letztlich erfolgreichen – Proteste chinesischer Bürger gegen die Covid-Politik falsch zu verstehen. Um mehr Freiheit in einem abstrakten Sinn oder gar um den Wunsch nach Demokratie sei es dabei nicht gegangen: „Die Leute haben gekämpft – aber vor allem darum, dass sie wieder arbeiten gehen und Geld verdienen können. Durch Null-Covid sind viele Menschen in eine Situation geraten, in der ihnen einfach das Geld ausging. Es gibt in China kein soziales Auffangnetz“, sagt Weigelin-Schwiedrzik.
Die rigorose Pandemiebekämpfung habe verheerende wirtschaftliche Folgen gehabt und sei wohl hauptsächlich deshalb an ihr Ende gekommen, meint die Expertin. Überraschend daran sei höchstens der Zeitpunkt: „Die kommunistische Partei Chinas vermeidet gerne den Eindruck, dass Proteste auf der Straße ihre Entscheidungen beeinflussen.“
Die Taiwan-Frage sei für China zuletzt wichtiger geworden, weil diese nun auch eine geopolitische Dimension bekommen habe. Wieder gehe es letztlich darum, ob die USA ihre Hegemonie in dieser Region behaupten können. Vom Plan, die aus Sicht Chinas abtrünnige Provinz wieder zu einer von Peking gesteuerten Provinz zu machen, werde China sicher nicht abrücken, meint Weigelin-Schwiedrzik. „China will im Augenblick eine militärische Operation gegen Taiwan vermeiden. Alle wissen, dass eine solche höchst riskant wäre. Würde man das versuchen und nicht erfolgreich sein, könnte die Legitimation des gesamten Regimes in Frage gestellt werden. Stattdessen übt man jetzt Druck auf Taiwan aus. Ziel ist eine Spaltung der Eliten in Taiwan.“
Im Kampf gegen den Klimawandel sei China sicher nicht der zuverlässige Partner, den man sich wünschen würde, meint sie. „An erster Stelle steht für chinesische Unternehmer die wirtschaftliche Entwicklung.“ Deshalb werde man nicht freiwillig auf Geschäfte verzichten, nur um die globale CO2-Bilanz zu verbessern. Bei aller berechtigten Kritik plädiert Weigelin-Schwiedrzik aber dafür, auch die andere Seite zu sehen: „China hat ein sehr ausgefeiltes gesetzliches Instrumentarium für den Umweltschutz. Diese Gesetze werden auch immer wieder angewendet. Deshalb kommt es vor, dass plötzlich mehrere hundert Unternehmen plötzlich ihre Tore schließen müssen, weil ihre Produktionsweise nicht mit den Gesetzen im Einklang steht.“ Wie bei allen wichtigen Fragen wolle China auch beim Klimaschutz die Nummer eins werden. Einzelne Handlungen mögen diesem Ziel im Wege stehen, aber der Ehrgeiz sei durchaus vorhanden.
Das mittelfristige geopolitische Ziel von Staatspräsident Xi Jinping sei ganz klar, meint die Sinologin: „China will im Zentrum der Weltpolitik stehen, als zweite Supermacht neben den USA. Dann könnte man sich, sozusagen unter Männern, auf eine Aufteilung der Welt einigen. Europa gehört übrigens zu den Regionen, in denen China gerne machen möchte, was es will.“
Susanne Weigelin-Schwiedrzik, 67, Die gebürtige Deutsche studierte Sinologie in Bonn und in Peking. Sie war Universitätsprofessorin in Heidelberg (1989 bis 2002) und in Wien (2002 bis 2022). Sie ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
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Von einer Krise in die nächste. Kaum ist Corona vorbei, stehen wir vor dem nächsten Problem: Hohe Preise, wohin man sieht. 2022 war ein turbulentes und krisenreiches Jahr in Österreich. Die enorme Inflation und die instabile Weltwirtschaftslage bekamen wir vielfältig zu spüren. Und trotzdem ist dieses Jahr die Wirtschaftsleistung in Österreich stärker gestiegen als gedacht. Also kann ja nicht alles schlecht gewesen sein, oder?
Die Nice & Naughty List der Agenda Austria zeigt, was sich im Jahr 2022 in Österreich positiv verändert hat und was eher ein Fail war. Der Direktor der Agenda Austria, Franz Schellhorn, zeigt auf, wo die Probleme in der österreichischen Wirtschaft liegen und was für eine bessere Zukunft getan werden sollte.
In welchem Bereich Schellhorn eine eindeutige Herausforderung für das kommende Jahr sieht: „Das Pensionssystem muss sich ändern, damit die jungen Generationen ein System vorfinden, das sie bezahlen können. Das heißt, wir müssen einfach länger arbeiten. Nicht nur um den Arbeitskräftemangel zu entschärfen, sondern auch um das Pensionssystem stabil zu halten.“
Zur Person: Dr. Franz Schellhorn leitet seit Februar 2013 den in Wien ansässigen Think Tank Agenda Austria. Er studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. Vor seinem Studium absolvierte er eine Bankausbildung bei der Creditanstalt, kehrte aber nach der Hochschule nicht in die Finanzwirtschaft zurück, sondern heuerte bei der Tageszeitung „Die Presse“ an, für die er 15 Jahre lange arbeiten sollte. Von 2004 bis 2013 leitete Franz Schellhorn das Wirtschaftsressort der „Presse“, ab dem Jahr 2011 fungierte er zudem als Mitglied der Chefredaktion. Während seiner Tätigkeit bei der „Presse“ schloss Franz Schellhorn im Jahr 2004 sein Doktoratsstudium ab.
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Bis Jahresende wird Österreich wahrscheinlich mehr als 100.000 Asylanträge entgegengenommen haben – deutlich mehr als im Krisenjahr 2015. Wieder sind die Quartiere voll; Bund und Länder streiten über die Aufteilung der Flüchtlinge. Europa schafft es offenbar nicht, eine humane und zugleich funktionierende Asylpolitik zu gestalten.
Seit 2015 habe sich tatsächlich kaum etwas verändert, sagt die langjährige UNHCR-Mitarbeiterin und Migrationsexpertin Melita Šunjić im Podcast der Agenda Austria. „Es ist substanziell nichts weitergegangen. Das verstehe ich nicht. Wenn ein System nicht funktioniert, kann man nicht trotzdem immer weiter das gleiche tun und andere Resultate erwarten. Da muss man, wie die Engländer sagen, out of the box denken, etwas anderes probieren.“ Die europäischen Dublin-Regeln haben nach Ansicht von Šunjić ausgedient: „Die Dublin-Verfahren dienen nur dazu, dem jeweils anderen das Problem umzuhängen.“
Šunjić plädiert seit langem für eine Neuaufstellung der EU-Asylpolitik, basierend auf Überlegungen des UNHCR. „Die Idee ist, dass es nicht 27 verschiedene Asylverfahren geben soll, sondern ein EU-Verfahren. Das soll dort abgewickelt werden, wo die Flüchtlinge ankommen, also an den Außengrenzen der EU.“ All jene, die Asyl bekommen, sollten dann auf die Mitgliedsländer verteilt werden. Bei den anderen könnte noch geprüft werden, ob sie für den europäischen Arbeitsmarkt geeignet seien. Wer auch diese Hürde nicht schafft, müsste in die Heimat zurückkehren. Der große Vorteil aus Šunjićs Sicht: „Die EU würde dann mit den Herkunftsländern die Abkommen zur Rückübernahme abschließen, nicht mehr die einzelnen Länder. Da hätte man eine viel bessere Verhandlungsmacht.“
An sich wäre jetzt die Zeit günstig, endlich ein Übereinkommen auf europäischer Ebene zu erreichen, meint die Expertin. Einstige Bremser in Osteuropa stünden seit Beginn des Krieges in der Ukraine selbst vor großen Problemen: „Die Visegrad- und die baltischen Staaten haben sich immer am meisten gegen einen Aufteilungsschlüssel gewehrt. Jetzt haben sie sehr viele ukrainische Flüchtlinge. Und siehe da: Plötzlich gibt es Interesse an einer Verteilung. Das wäre ein Moment für Brüssel, um noch einmal in Verhandlungen zu gehen.“
Am wichtigsten wäre es nach Šunjić Meinung, endlich zwei Kanäle zu schaffen – einen für jene, die tatsächlich Schutz suchen, einen anderen für jene, die einfach nur ihre Lebenssituation verbessern und arbeiten wollen. „Wir schaufeln jedes Jahr hunderttausende Menschen in ein teures, aufwändiges Asylverfahren, in das sie nicht hineinwollen und in das sie auch nicht hineingehören“, sagt Šunjić.
Melita Šunjić war selbst ein Flüchtling; im Alter von zwei Jahren kam sie mit ihren Eltern aus dem heutigen Kroatien nach Österreich. In der eigenen Familie hat sie erlebt, dass viele Träume in der Fremde nicht in Erfüllung gehen. „Mein Vater war Maschinenbauingenieur. Aber er kam ohne Deutschkenntnisse nach Österreich, musste schnell Geld verdienen und hat hier dauerhaft als Lkw-Fahrer gearbeitet. Das ist ein recht typisches Flüchtlingsschicksal.“
Melita Šunjić, 67, wurde in Rijeka geboren und kam mit zwei Jahren nach Österreich. Sie studierte Publizistik und arbeitete zunächst als Journalistin. Unter anderem war sie Ressortleiterin Außenpolitik der „Wiener Zeitung“. Danach wechselte sie zum UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, wo sie leitende Pressesprecherin war und viele Krisenherde der Welt persönlich besuchte. Sie ist Gründerin der Agentur Transcultural Communication, die Regierungen und internationale Organisationen bei der Entwicklung von Kampagnen für Flüchtlinge und Migranten berät.
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Rosemarie Schwaiger spricht mit dem Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier
Wer heute jung ist, hat ein Imageproblem. Die sogenannte Generation Z sei arbeitsscheu und bequem, heißt es. Für den eigenen Komfort und eine gute Work-Life-Balance würden die Jungen gerne auf beruflichen Erfolg verzichten. Stimmt das? Nein, sagt der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier im Podcast der Agenda Austria. Jedenfalls stimme es nicht für alle: „Ich halte nichts von pauschalen Beurteilungen.“Je nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht sei die Motivation völlig verschieden. Hochqualifizierte könnten sich heute eben aussuchen, wo sie arbeiten wollen. „Ich berate gerade das Bundesheer. Dort suchen sie IT-Fachleute. Die Bewerber kommen, legen ihre Forderungen auf den Tisch, und das Bundesheer sagt, ‚das können wir nicht machen, wir haben ein Schema‘. Also gehen die Leute wieder.“
So selbstbewusst sei aber nur ein kleiner Teil der jungen Generation, meint Heinzlmaier. Dem sehr großen Rest stellt er die Diagnose „risikoaverser Sicherheitstyp“. Wie äußert sich das? „Sie wollen einen sicheren Job und eine sichere Beziehung, in der Treue groß geschrieben wird. Sie wollen auch eine sichere Lebensumgebung, am liebsten ein Häuschen im Grünen etwas abseits der großen Städte. Es geht um Stabilität und Planbarkeit.“
Gesellschaftliche Umbrüche seien von dieser Generation folglich nicht zu erwarten. Heinzlmaier zitiert den deutsch-koreanischen Philosophen Byung-Chul Han: „In einer Gesellschaft, in der das Liken dominiert, kann es keine Revolution geben.“ Unter 30-Jährige sind mit der Social-Media-Kultur aufgewachsen und hätten gelernt, dass es gefährlich sein kann, sich zu exponieren. „Laut unserer neuesten Studie sagen zwei Drittel der unter 29-Jährigen, es ist besser, nicht alles zu sagen, was man sich denkt. 50 Prozent finden, man kommt weiter, wenn man sich anpasst und unterordnet.“
Völlig out ist laut Heinzlmaiers Studien auch die Rebellion gegen die eigenen Eltern – früher ein fixer Bestandteil des Erwachsenwerdens: „So eine enge Beziehung zwischen Kindern und Eltern wie heute gab es noch nie.“ Die Jungen ließen sich gerne leiten und lenken, sagt der Experte. „Sie sind nicht gerade süchtig nach Verantwortung.“
Heinzlmaier hat sich für die zwei großen Gruppen unter den Jungen tierische Metaphern ausgedacht: Die gut gebildete, privilegierte, international ausgerichtete Oberschicht firmiert als „Wachteln“. Alle anderen gelten als „Pinguine“ – sind also treu, vorsichtig, bescheiden. „Die große Mehrheit gehört zu den Pinguinen. Das sind bekanntlich Vögel, die nicht fliegen können“, erläutert Heinzlmaier.
Bernhard Heinzlmaier, 62, hat Philosophie studiert und ist seit Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Er ist Geschäftsführer der T-Factory Trendagentur mit Niederlassungen in Hamburg und Wien und Vorsitzender des Österreichischen Instituts für Jugendkulturforschung. Heinzlmaier lehrt an der FH Joanneum in Graz und an der FH Burgenland in Eisenstadt.
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Rosemarie Schwaiger spricht mit dem Militärstrategen Markus Reisner
Mehr als acht Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist kein Ende in Sicht. Oberst Markus Reisner, Militärstratege beim Österreichischen Bundesheer, hat im Podcast der Agenda Austria schon vor fast einem halben Jahr einen langen, blutigen Krieg prophezeit. In der Neuauflage des Gesprächs muss er bei dieser Einschätzung bleiben: Ein Ende sei erst in Sicht, wenn eine Seite messbare militärische Erfolge erzielt habe, meint Reisner. „Das wäre die Voraussetzung, dass zumindest einer mit Verhandlungen beginnen muss. Solange es diese durchschlagenden Erfolge nicht gibt, wird der Krieg weitergehen.“Zuletzt habe die Ukraine zwar einige Städte wieder zurück erobert. Dennoch sei Russland längst nicht am Ende. „Das Paradoxe ist: Trotz der Erfolge auf dem Gefechtsfeld besteht für die Ukraine die Gefahr, in Nachteil zu geraten, weil es nicht gelingt, den russischen Angriffen auf die Infrastruktur etwas entgegenzuhalten“, analysiert Reisner.
Einen Sieger kann es nach Ansicht des Experten nicht mehr geben: „Ich würde den Begriff Sieg in diesem Zusammenhang vermeiden“, sagt er. Dafür sei schon zu viel Schreckliches passiert. „Wir stehen vor den Trümmern der europäischen Sicherheitsarchitektur. Die Strategie der Russen ist jetzt offenbar, die Dinge, die sie nicht bekommen, zu zerstören. Und die europäische Bevölkerung ist Teil eines Wirtschaftskriegs, der auf jeden Fall zu einem Wohlstandsverlust führen wird.“ Er hoffe nur, dass der Konflikt regional einhegbar bleibe und beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückkehren. „Momentan sagt die Ukraine, wir wollen diesen Weg bis zum Schluss gehen. Die Frage ist, ob das so bleibt. Auch Russland sagt, wir wollen unsere Ziele erreichen, koste es, was es wolle. Vielleicht gibt es auch hier irgendwann die Einsicht, dass es sich nicht mehr ausgeht.“
Anders als in der Öffentlichkeit vermittelt, sei die Kommunikation im Hintergrund wohl doch nicht gänzlich zum Stillstand gekommen – weder zwischen den Kriegsparteien, noch zwischen den USA und Russland: „Es gibt sicher Kontakte und Kommunikationskanäle. Der Beweis dafür ist der Umstand, dass ein Gefangenenaustausch zustande kam. Dafür musste kommuniziert werden. Das ist etwas, was uns beruhigen sollte.“ Bevor es zu einer atomaren Eskalation käme, würde man wohl doch noch zum Telefon greifen, ist Reisner überzeugt.
Über die Zahl der Opfer kann auch der Militärstratege nur spekulieren: „Wir müssen davon ausgehen, dass beide Seiten mehrere Zehntausend getötete Soldaten haben. Die endgültigen Zahlen werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Und es geht ja nicht nur um die Soldaten, sondern auch um die Zivilisten. Allein in Mariupol sind tausende Menschen im Bombenhagel gestorben.“ Sorgen bereitet Reisner die auf beiden Seiten zu beobachtende Eskalation der Sprache. „Wir erleben eine Dehumanisierung des Gegners. Die Russen bezeichnen die Ukrainer nur noch als Faschisten, die Ukrainer sprechen umgekehrt von den Orks – in Anlehnung an den Herr der Ringe. Wir hatten ja eigentlich als Menschheit gedacht, wir hätten uns weiterentwickelt. Jetzt sehen wir, dass wir um nichts klüger geworden sind.“
Wichtig wäre nun, wieder verstärkt auf Diplomatie zu setzen, meint Reisner. „Wir müssen uns die Möglichkeit offen halten, über Kommunikation zu ertasten, wann der eine bereit ist, auf den anderen zuzugehen. Wenn so ein Signal kommt, sollten wir es hören.“
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Rosemarie Schwaiger spricht mit dem Unternehmer Damian Izdebski
Damian Izdebski war der Gründer und Chef des Computerhändlers Ditech. Nach Jahren mit enormem Wachstum und sehr positiver Medienresonanz schlitterte das Unternehmen 2014 in den Konkurs. Damian Izdebski war plötzlich nicht mehr Everybody´s Darling, sondern ein Pleitier. Diese Erfahrung sei hart gewesen, erzählt Izdebski im Podcast der Agenda Austria: „Ditech war unser Baby, unsere Leidenschaft, unser Lebenszweck. So ein Baby nach 15 Jahren zu Grabe zu tragen, ist kein schöner Moment.“Doch die Pleite war auch lehrreich. Der Unternehmer hält Vorträge über diese Zeit – und er hat ein Buch mit dem Titel „Meine besten Fehler“ geschrieben. Der Hauptgrund für die Insolvenz von Ditech seien die viel zu hohe Fremdkapitalquote und die starke Abhängigkeit von Kreditversicherern gewesen, sagt Izdebski. Schon im Sommer 2013 sei die Liquidität zusammengebrochen. Im Rückblick hätte sich die schwache Eigenkapitaldecke zwei Jahre vor der Pleite leicht erhöhen lassen, meint Izdebski heute: „Die Investoren standen damals Schlange. Wir wollten sie nur nicht.“ Weil es lange so gut lief, habe sich wohl eine Euphorie breit gemacht. „Ich glaube, wir haben mit dem Erfolg viele Probleme erschlagen. Wie man so sagt: In einem Taifun können auch Schweine fliegen.“
Damian Izdebski und seine damalige Frau Aleksandra zahlten einen hohen Preis – und zwar nicht nur finanziell. Die Reaktionen seines Umfelds seien für ihn emotional am härtesten gewesen, erzählt der Unternehmer. „Kurz vor der Insolvenz hatte ich in meinem Handy wahrscheinlich 1000 Leute gespeichert. Alles super Freunde, zum Teil langjährige Geschäftspartner. Ich war reflektiert genug, um zu wissen, dass es großteils die Freunde des Ditech-Eigentümers waren und nicht die von Damian. Trotzdem ist es sehr hart, zu erkennen, dass sich 90 bis 95 Prozent dieser Menschen in einer Sekunde von dir abwenden. Das bedeutet: Du rufst einen Freund oder Geschäftspartner an, und der hebt nicht mehr ab, auch nicht beim zweiten oder dritten Versuch.“
Doch Damian Izdebski rappelte sich wieder auf. Mit 10.000 Euro, die ihm sein bester Freund geborgt hatte, reiste er für ein paar Monate nach Kalifornien. Die Reaktionen dort hätten ihn enorm aufgebaut, sagt er heute:„In Österreich waren die 15 Jahre Erfolg sofort ausgeblendet und vergessen, es zählte nur mehr die Insolvenz. Für die Amerikaner war die gesamte Geschichte interessant.“ Deshalb habe er anschließend begonnen, das Buch zu schreiben und Vorträge über sein Scheitern zu halten: „Ich habe dieses Wissen sehr teuer bezahlt. Deshalb fände ich es schade, wenn ich es nicht teilen würde.“
Ein Jahr nach der Pleite gründete Izdebski mit Hilfe von Investoren ein neues Unternehmen. Die „Techbold“ ist ein IT-Dienstleister und wächst ebenfalls stark. Ob es noch einmal so kolossal schief gehen könnte wie beim ersten Mal? Kein Unternehmer könne das ausschließen, meint Damian Izdebski, eine Erfolgsgarantie gebe es nie. Aber das Risiko sei bei ihm jetzt minimal. „Wir sind ganz anders finanziert und haben 85 Prozent Eigenkapital statt acht Prozent wie die Ditech.“
Damian Izdebski, 46 wurde in Polen geboren und war 15 Jahre alt, als seine Familie nach Österreich auswanderte. Er lernte Deutsch, machte die HAK-Matura und begann ein Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU. Noch vor dem Abschluss gründete er Ditech, das er gemeinsam mit seiner damaligen Frau Aleksandra zu einem der größten IT-Handelsunternehmen machte. 2014 schlitterte Ditech in die Insolvenz. Damian Izdebski schrieb ein Buch über sein Scheitern und hält Vorträge – vor kurzem auch in der Agenda Austria. Sein neues Unternehmen, Techbold, hat sich auf IT-Dienstleistungen spezialisiert.
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Rosemarie Schwaiger spricht mit dem Experten für Krisenvorsorge, Herbert Saurugg
Ein großflächiger länger andauernder Stromausfall wird nach Ansicht vieler Experten immer wahrscheinlicher. Unternehmen und öffentliche Institutionen treffen Vorbereitungen für den Ernstfall. Auch private Haushalte sollten gewappnet sein, wird empfohlen. Warum wurde das Blackout-Risiko zuletzt größer?
Herbert Saurugg ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge und Blackout-Experte. Im Podcast der Agenda Austria erklärt er, was die aktuelle Situation so gefährlich macht. Es gebe derzeit mehrere Probleme gleichzeitig: Ein Faktor sei der Strommarkt selbst, auf dem einzelne Anbieter „Eigenoptimierung“ betreiben würden. „Beim Übergang von einem Kraftwerk aufs andere wird versucht, auf beiden Seiten zu sparen. Dadurch entsteht eine Frequenzlücke“, sagt Saurugg. Auch die Energiewende spiele eine Rolle: „Wenn ich weiß, dass im Stromversorgungssystem immer genauso viel produziert werden muss wie verbraucht wird, dann brauche ich bei sehr volatilen Energieträgern entsprechende Puffer- und Speichersysteme. Diese wurden bisher nicht ausgebaut, dafür gibt es auch noch keine technische Lösung.“Nicht zuletzt fehle es an Infrastruktur, meint der Experte: „In Deutschland etwa war die Absicht, bis zum Atomausstieg drei bis vier große Leitungen von Nord nach Süd zu bauen, um den Windstrom zu transportieren. Die erste dieser Leitungen wird frühestens 2028 fertig sein, aber der Ausstieg erfolgt trotzdem.“ Auch die im Winter befürchtete Gasmangellage in Teilen Europas werde die Stromversorgung gefährden.
Dass bisher nichts Schlimmes passiert ist, sei keine Garantie für die Zukunft. In seiner Branche nenne man diesen Fehlschluss gerne die „Truthahn-Illusion“, erzählt Saurugg. „Der Truthahn gewinnt mit jeder Fütterung mehr Vertrauen zu seinem Besitzer. Der könne es ja nur gut mit ihm meinen, glaubt der Truthahn. Dummerweise fehlt dem Vogel die wichtigste Information: Dass die Fütterung nur dem Zweck dient, ihn eines Tages zu verspeisen.“ -
Die Zinsen sind zuletzt zwar leicht gestiegen, doch die Inflation verharrt auf dem höchsten Wert seit Jahrzehnten. Geld auf Sparbüchern und Girokonten verliert massiv an Wert. Leider hinterlassen die multiplen Krisen auch an den Börsen tiefe Spuren. Der ATX etwa verlor innerhalb eines Jahres rund ein Viertel seines Werts. Gibt es trotzdem noch Möglichkeiten der Geldanlage?
Am schlechtesten wäre es, gar nichts zu tun und die Ersparnisse weiter auf dem Sparbuch liegen zu lassen, meint Hava Misimi, Finanzbloggerin und Jungunternehmerin aus Deutschland, im Podcast der Agenda Austria. Viele Aktien wurden zuletzt deutlich billiger. Deshalb sei jetzt ein sehr guter Zeitpunkt, um an der Börse einzusteigen, sagt Misimi: Wer langfristig investiere – also mit einem Zeithorizont von mindestens zehn, idealerweise 15 Jahren –, könne von der Krise profitieren. „Bei Aktien zeigen weltweite Daten über 100 Jahre, dass sich die Rendite pro Jahr bei 5,8 bis sechs Prozent einpendelt. Jetzt kann man diese Rendite sogar noch verbessern, weil man ja günstiger einkauft.“ Das gelte besonders für junge Menschen, die noch 20 oder 30 Jahre Zeit haben, sagt Misimi – die sich mit ihrem Blog „Femance“ vor allem an ein junges Publikum wendet.
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