エピソード

  • Schauspieler Jannik Schümann spricht über seine Rolle im neuen Audible-Hörspiel „1984“, die Aktualität von George Orwells Roman und sein spektakulär unspektakuläres Coming-out vor vier Jahren.

    Es war eines der wichtigsten öffentlichen Coming-outs der letzten Jahre: Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2020 stellte Schauspieler Jannik Schümann auf Instagram erstmals seinen Partner Felix vor. Auf dem Schwarz-weiß-Foto umarmt der 28-Jährige auf einer romantischen Winterwiese seinen heutigen Verlobten, der ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn gibt. Schümann selbst lächelt dabei glücklich in die Kamera. Zum Foto postete der Filmstar nichts außer ein rotes Herz-Emoji.

    Über das spektakulär unspektakuläre Coming-out vor vier Jahren spricht Johannes Kram mit Jannik Schümann im neuen QUEERKRAM-Podcast – und kann dem Schauspieler einige bislang unbekannte Details entlocken. So hat der heute 32-Jährige seinen Instagram-Post zum Fest der Liebe nicht nur genau geplant, sondern sogar mit einem Countdown mit Sekt, Partner und Freund*innen eingeläutet. „Ich wollte kein Exklusiv-Interview geben“, erzählt er. „Ich wollte nicht sagen: ‚Ich bin schwul‘.“ Seine bislang öffentlich nicht bekannte Homosexualität habe beiläufig in einem Instagram-Post „einschleusen“ wollen.

    Gegenüber seiner Familie hat sich Schümann schon mit 18 Jahren geoutet, gegenüber der Öffentlichkeit ließ er sich Zeit. „Ein Outing hat immer was mit Selbstliebe zu tun“, meint der Schauspieler im Gespräch mit Johannes Kram. „Ich konnte das vorher noch nicht in der Gesellschaft veröffentlichen, weil ich einfach selbst noch nicht so weit war oder weil ich noch nicht den Partner an meiner Seite hatte, mit dem ich das hätte machen können, und weil ich einfach den Mut und das Standing nicht hatte, zu sagen: ‚Ey, wenn ihr das jetzt scheiße findet und mich in der Branche nicht akzeptiert, dann ist das auch nicht Branche für mich‘.“

    Seiner Karriere hat das Coming-out nicht geschadet, im Gegenteil. Seit 2021 ist er in der erfolgreichen RTL-Serie „Sisi“ als Kaiser Franz Joseph I. zu sehen, in der Kinokomödie „Chantal im Märchenland“ überzeugte er zuletzt im Frühjahr als Prinz Bechtold. Seit 1. November leiht er im neuen Audible-Original-Hörspiel „1984“ seine Stimme der heterosexuellen Hauptfigur Winston Smith.

    „Ich wollte das sofort machen“, auch wenn der Roman von George Orwell ein „großer Brocken“ sei, erzählt Jannik Schümann im Podcast – und spricht über die Herausforderung und gleichzeitig Chance, Gefühle ausschließlich mit Hilfe seiner Stimme zu transportieren. Orwell habe „1984“ in den 1940er Jahren geschrieben, sagt er. „und das ist Buch ist superaktuell.“ Als schwuler Mann habe er natürlich einen persönlichen Bezug zu der im Roman beschriebenen Ausgrenzung und Zermürbung von Minderheiten in einer diktatorischen Gesellschaft. „Ich hatte alle Freiheiten“, kommentiert er den neuen Rechtsruck. Wir spüren ja gerade, wie einem die Freiheiten wieder genommen werden.“
    Im Gespräch mit Johannes Kram geht es auch um Schümanns erste queere Rolle in „Die Mitte der Welt“, Liebesbriefe von jungen Schwulen, die Initiative #ActOut, die er mit großem Engagement unterstützte, seine bewegende Rede 2023 im Deutschen Bundestag bei der Gedenkstunde für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, Liebesszenen vor der Kamera, den Druck bei Dreharbeiten und kleine Zusammenbrüche, wenn die letzte Klappe fällt, sowie Musicals als Safe Space für queere Menschen.

    Apropos Musicals. Dass Jannik Schümann noch viel vorhat, zeigte er kürzlich als Moderator des Deutschen Musicaltheaterpreises, wo sich der ehemalige „Mozart“-Kinderdarsteller und große „Billie Elliot“-Fan singend und tanzend (und alles anders als zurückhaltend) für eine Musicalrolle ins Gespräch brachte. Sein Traumrolle will er im Podcast nicht verraten – aber vielleicht wird ja ein Musical extra für ihn geschrieben… Als queerer Hauptdarsteller könnte Jannik Schümann erneut Geschichte schreiben.

    .- Micha Schulze, queer.de, 2.11.2024

  • Sarah Petzold, die acht Jahre als Türsteherin im berühmtesten Technoclub der Welt arbeitete, spricht über die Macht der Einlass-Crew, das Berghain als queerer Safe Space und die Auswahl einer guten Party-Crowd.

    Ins Berliner Berghain zu gelangen, ist keine leichte Angelegenheit. Sehr oft stundenlang stehen Menschen in der Schlange vor dem berühmtesten Technoclub der Welt, um sich dann, endlich am Eingang angekommen, anhören zu müssen: „Tut mir leid, aber heute nicht“. Die Einlassregeln sind so berüchtigt streng, dass es im Internet zahlreiche fragwürdige Kleidungs- und Verhaltenstipps gibt, wie man die Tür-Crew angeblich gnädig stimmen kann.

    Wie kommt man denn nun wirklich garantiert ins Berghain? Um diese Frage geht es glücklicherweise nicht im neuen QUEERKRAM-Podcast, in dem Johannes Kram die langjährige Berghain-Türsteherin Sarah Petzold zu Gast hat. Aber es geht sehr wohl um die Hintergründe der strengen Türpolitik, die nicht allein wegen der Massen an Neugierigen existiert. Die lesbische Berlinerin, die ihren Job bis vor kurzem acht Jahre lang ausgeübt hat, berichtet außerdem von ihren Erfahrungen.

    Ihrer Macht als Türsteherin ist sich Petzold bewusst: „Ich kann der Person das Wochenende total versauen, ich kann ihr das schönste Wochenende der Welt machen - das ist meine Entscheidung“, erzählt sie im Podcast. Doch aus dieser Macht ziehe sie keine Befriedigung, sie bemühe sich, bei jeder Abweisung höflich zu sein. Ihr gehe es darum, die richtige Mischung für eine gelungene Party zu finden. „Das ist eine Form von Kunst, die richtige Menschenmenge zusammenzustellen“, so Petzold. Ihr Fazit: Die Person an der Tür ist wichtiger als die hinter dem DJ-Pult.

    Wer nicht ins Berghain passe, das sehe sie schon, wenn sie die Schlange beobachte, erzählt die Kampfsportlerin. Vor allem gehe es darum, die Intoleranten, die Ja-aber-Menschen herauszufiltern, die von dem sexpositiven „Schlaraffenland für Erwachsene“ (Sarah Petzold) oder der queeren Vielfalt der Besucher*innen möglicherweise überfordert sein könnten. „Wir wollen einen Safe Space für alle bewahren“, stellt die Ex-Türsteherin klar.

    Aufgrund der harten Tür wird im Berghain eine queere Gesellschaftsutopie gelebt – das ist die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus diesem spannenden Podcast. Was mitunter bunte Blüten treibt: So erzählt Sarah Petzold, dass sich heterosexuelle Männer schon mal händchenhaltend als schwules Paar ausgeben, um in den legendären Technoclub zu gelangen.

    In dem rund einstündigen Gespräch geht es außerdem um Sarahs Hobby Mixed Martial Arts (MMA), bei dem man schon mal ohnmächtig werden kann, den richtigen Umgang mit queerfeindlicher Gewalt, um die Beliebtheit der Berghain-Cruisingarea auf Frauenpartys „Auch Lesben sind innerlich kleine Kinder“), den Umgang mit der gefährlichen Droge G und warum Techno und Schlager kein Widerspruch sein müssen - vor dem Berghain hat der Kerstin-Ott-Fan als Türsteherin ausgerechnet in der Busche gearbeitet.

    Am Ende des Podcasts ist man richtig traurig, dass Sarah Petzold ihren Berghain-Job aufgegeben hat. Neben ihrem Hauptberuf – sie ist gelernte Anlagenmechanikerin – seien die Nachtschichten einfach zu viel geworden, erzählt sie im Gespräch mit Johannes Kram. Was aber auch etwas Gutes hat: Jetzt kann sie das Berghain auch selbst wieder als ganz normaler Gast genießen.
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    Micha Schulze, queer.de, 30. März 2024

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  • Peter Plate und Ulf Leo Sommer sprechen über ihr neues Musical, den gemeinsamen Song „Vincent“ mit Sarah Connor, die Beziehung des Ex-Paares und natürlich über Rosenstolz.

    Die Drei im Studio haben sich vor 25 Jahren das erste Mal getroffen. Beim deutschen Eurovision-Vorentscheid 1998 war Podcaster Johannes Kram als Manager von Sieger Guildo Horn dabei. Peter Plate belegte mit Rosenstolz den zweiten Platz. Ulf Leo Sommer war damals nicht nur Plates Lebenspartner, sondern auch als Produzent, Komponist und Texter des Duos tätig. Doch erst ganz am Ende des Gesprächs kommen die drei Männer auf diese Begegnung zu sprechen.

    Der neue QUEERKRAM-Podcast beginnt natürlich mit Peter Plates und Ulf Leo Sommers Musical "Romeo & Julia - Liebe ist alles", das am 19. März im Berliner Theater des Westens Premiere feiert und den riesigen Erfolg von „Ku’damm 56“ noch in den Schatten stellen könnte. „Liebe, Sex und Tod, das sind eh unsere Themen“, sagt Sommer zum Projekt. Beide legen großen Wert darauf, den Shakespeare-Klassiker nicht nur als stockheterosexuelle Liebesgeschichte zu erzählen. So ist in ihrer Fassung Mercutio heimlich in seinen besten Kumpel Romeo verknallt. Der neu dazugeschriebene Todesengel wiederum sei ein „Kniefall vor Klaus Nomi“, verrät Plate.

    Das schwule Kreativ-Duo zeigt seit vielen Jahren, dass sich selbstverständlich gelebte Queerness, Einsatz für LGBTI-Rechte und Erfolg im sogenannten Mainstream nicht ausschließen. Der Pop von Rosenstolz habe queere Vielfalt gefeiert und die Gesellschaft verändert, lobt Kram im Podcast - und erinnert u.a. an den frühen Ehe-für-alle-Song „Ja, ich will“, den das Duo 1999 zusammen mit Hella von Sinnen aufgenommen hat. Ausführlich sprechen sie auch über Peter Plates wichtige Live-Kritik vor sieben Millionen TV-Zuschauer*innen, als ausgerechnet der queerfeindliche Rapper Bushido den Integrations-Bambi verliehen bekam.

    Plate und Sommer haben auch nie vergessen, wo die Rosenstolz-Karriere einst begann. „Im SchwuZ, da durften wir lernen“, erinnert sich der Sänger an „furchtbare Auftritte“ vor über dreißig Jahren, nachdem er von Braunschweig nach Berlin gezogen war. Zum späteren Erfolg meint er: „Rosenstolz hat gut funktioniert, weil ich so ein Kleinstadt-Pampel war.“

    2012 verabschiedete sich Rosenstolz von der Bühne, doch Plate und Sommer schrieben weiterhin Songs – u.a. für die No Angels, 2Raumwohnung oder Helene Fischer. Zu den bekanntesten gehört sicherlich das schwule Stück „Vincent“ von Sarah Connor, das wegen der ersten Zeile „Vincent kriegt kein' hoch, wenn er an Mädchen denkt“ von einigen Radiosendern nicht gespielt wurde. Im Podcast sprechen sie ausführlich über die Entstehungsgeschichte („Sarah kam ins Tonstudio und wollte gern mal ein schwules Lied schreiben“), ihre erste Abwehrhaltung, die Message des Songs und die albernen Entschärfungsversuche der Plattenfirma.
    Peter Plate und Ulf Leo Sommer sind dann am besten, wenn ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt werden. „Eigentlich sind wir faul“, sagt Plate im Gespräch mit Johannes Kram. „Wir können nur so richtig arbeiten, wenn wir für irgendetwas brennen.“ Wie sehr ihnen das Musical "Romeo & Julia“ am Herzen liegt, vom dem sie glauben, dass es polarisieren werde, spürt man auch beim Hören des Podcasts. Ständig fallen sich die beiden gegenseitig ins Wort, auch die verabredete Übergabe des „Rede-Löffels“ will nicht so ganz funktionieren.

    In schwierigen Zeiten geben sich Plate und Sommer wiederum gegenseitig Kraft, auch wenn sie seit rund 15 Jahren kein klassisches Paar mehr sind. „Unsere Liebe hat sich geändert. die romantische Beziehung ist vorbei, aber die freundschaftliche Beziehung ist tiefer geworden. Der ganze Eifersuchts-Shit ist vorbei“, erzählt Sommer. „Es ist leichter, zusammen mutig zu sein.“

    Liebe ist alles.
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    Micha Schulze, queer.de, 27. Februar 2023

  • Die Politologin, Aktivistin und Autorin Emilia Roig spricht über die transformative Kraft der Intersektionalität, das Erkennen von Privilegien, revolutionäre Spiritualität und die Abschaffung der Ehe.

    Als queere Schwarze Frau will Emilia Roig natürlich Queerfeindlichkeit und Rassismus beenden, doch da macht die Politologin, Aktivistin und Buchautorin aus Berlin nicht halt. Ohne Überwindung des Kapitalismus wird das nicht gelingen, glaubt sie. Und träumt nicht nur vom Ende des Patriarchats, sondern auch von der Abschaffung der Nationalstaaten, der Lohnarbeit, des Geldes sowie von Polizei und Armee.

    Nicht wenige werden jetzt mit den Augen rollen, doch es lohnt sich, Emilia Roig einmal zuzuhören. Im neuen QUEERKRAM-Podcast von Johannes Kram zeigt die Gründerin und Direktorin des Center for Intersectional Justice, dass sie mehr zu bieten hat als linke Phrasen und naive Fantastereien. Bei ihrer Utopie setzt sie auch nicht auf die große Revolution, sondern auf öffentliche Denkanstöße, einen „Prozess des Verlernens“ und Spiritualität: „Ich möchte, dass wir merken, dass wir alle verbunden sind“, sagt Roig im Podcast. „Jeglicher Versuch, Menschen voneinander zu trennen durch künstliche Linien wie zum Beispiel Hautfarben, Geschlecht oder Körperformen, entspricht nicht unserer Essenz als Menschen.“

    Bekannt wurde die 1983 geborene Französin mit ihrem 2021 erschienenen erstem Buch „Why We Matter. Das Ende der Unterdrückung“, das gleich ein Bestseller wurde. Darin erklärt die Tochter eines jüdisch-algerischen Vaters und einer aus Martinique stammenden Mutter anhand ihrer eigenen Familiengeschichte, wie Strukturen der Unterdrückung erkannt und bekämpft werden können. Dabei geht es etwa um rassistische Denkmuster des Vaters oder eine geheime lesbische Affäre der Mutter. „Wenn wir über Unterdrückung sprechen, müssen wir auch über unsere persönlichen Geschichten sprechen, weil wir in den Systemen verankert sind“, stellt Roig im Gespräch klar. „Das Politische von dem Persönlichen zu trennen, geht nicht.“

    Im Kampf gegen Benachteiligung und Suppression ist für die Politologin und Mutter eines Sohnes eine intersektionale Betrachtung unablässlich, also das Sichtbarmachen verschiedener Formen von Diskriminierung und ihren Überschneidungen. „Diese Theorie erlaubt uns, die Macht zu enthüllen“, sagt Ruig auf Krams Frage, warum das Wort „Intersektionalität“ so vielen Menschen Angst bereite. Sie glaube jedoch an ihre positive und transformative Kraft. „Die Überwindung von Unterdrückung kommt allen zugute.“

    Im QUEERKRAM-Podcast spricht Emilia Roig darüber hinaus über die „Übermacht der Heterosexualität“, mit der queere Menschen täglich konfrontiert würden, Queerness als ihre subversive Superpower, das Erkennen eigener Privilegien und nicht zuletzt über das neue Buch, an dem sie gerade arbeitet. Der Titel „Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe“ verrät bereits, was sie ebenfalls am liebsten abschaffen würde. Die Öffnung der Ehe habe - trotz des klaren Fortschritts - queere Menschen in strukturell diskriminierende Strukturen gequetscht, kritisiert Ruig. „Es war eine verpasste Chance, die Ehe nicht abzuschaffen.“

  • Kinderbuchautor Ulrich Hub und Lukas Nimscheck von der Kinderband Deine Freunde sprechen über ihre besondere Zielgruppe, LGBTI-Sichtbarkeit und Vorwürfe der „Frühsexualisierung“.

    Unter einer AfD-Regierung hätten sie vermutlich Berufsverbot: Ulrich Hub und Lukas Nimscheck sind große Namen in der deutschen Kindermedienszene – und beide offen schwul. Der Schriftsteller und Regisseur Ulrich Hub, der meistgespielte deutschsprachige Autor von KIndertheaterstücken und Bestsellerautor von Kinderbüchern wie „An der Arche um acht“, der Komponist und Autor Nimscheck Sänger der erfolgreichen Kinderband Deine Freunde. Im QUEERKRAM-Podcast von Johannes Kram treffen sie erstmals aufeinander.

    In dem spannenden Gespräch geht es zum einen um die besondere Zielgruppe der beiden Künstler, die gar nicht so einfach zu erreichen sei. „Kein Kind entscheidet sich selbst, ein Buch zu lesen“, sagt Hub. „Wir kommunizieren ausschließlich mit Eltern“, erzählt auch Nimscheck. Grundschüler*innen seien nun mal zu jung für Instagram und Co. Zum anderen schwärmen die beiden Podcast-Gäste von den großen Freiräumen ihres Genres, das weniger Tabus kenne und viel mehr Humor zulasse als Stücke für Erwachsene.

    Beide klammern in ihrer Arbeit queere Themen nicht aus - und machten damit nicht nur positive Erfahrungen. Zusammen mit Franziska Kuropka brachte Lukas Nimscheck etwa die Musical-Comedy „Wir - Familie ist, was man draus macht!“ auf die Bühne des Hamburger Schmidt-Theaters. Dort lief das Stück über queere Familienplanung vor ausverkauftem Haus, doch keine andere Stadt wollte es bis heute übernehmen.

    Von Ulrich Hub wiederum stammt das bekannte Kinderstück „Ein Känguru wie du“. Die Geschichte um das schwule boxende Känguru Django, das in einem Zirkus dafür sorgt, dass die Raubkatzen Pascha und Lucky ihre Vorurteile überwinden, wurde 2017 vom Theater Baden-Baden nach einem Eltern-Boykott vorzeitig abgesetzt. „Das Buch wird am wenigsten verkauft“, räumt der Autor im Podcast ein. Auch in Polen seien seine Werke schon zensiert worden.

    Die Beispiele zeigen: LGBTI-Sichtbarkeit in Medien, vor allem in Kindermedien, ist bis heute nicht selbstverständlich. Dass bereits kleinste Versuche, die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden, von AfD, „Demo für alle“ und Co als „Frühsexualisierung“ diffamiert werden, empört Ulrich Hub: „Die Heterosexualität ist so allgegenwärtig und groß, dass wir es gar nicht schaffen können, die Kinder ausgewogen zu informieren.“

    In dem rund einstündigen Gespräch mit Johannes Kram geht es auch um den Einfluss, den Autor*innen auf Kinder haben, den Umgang mit sogenannter Political Correctness, die „fehlende Wärme“ des Bully Herbig, die neue positive Rolle des „schwulen Onkels“ sowie die Frage, wann man sich vor Kindern outen sollte.

    Er finde es schwierig, queere Sichtbarkeit „zur Agenda zu machen“, stöhnt Lukas Nimscheck im Podcast. Von Eltern werde er nahezu wöchentlich gebeten, ein Coming-out-Lied zu schreiben. „Wäre toll, wenn du das machst“, ermuntert ihn Ulrich Hub. „Es gibt für die ganz jungen Menschen keine schwulen oder lesbischen Identifikationsfiguren.“

    „Ich schließe es nicht aus“, entgegnet Nimscheck. „Aber mich muss die Muse dafür küssen, das geht nicht auf Aufforderung.“
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    Micha Schulze, queer.de, 24.12.2022

  • Die WDR-Journalistin und trans Aktivistin Georgine Kellermann spricht über ihr spätes Coming-out, ihren entspannten Umgang mit Hass und Hetze und ihre Kritik an der trans Community.

    Georgine Kellermann ist ein Musterbeispiel dafür, wie schnell und unerwartet frau in Deutschland zur Aktivistin werden kann. Drei Jahre nach ihrem Coming-out gehört die 65-jährige WDR-Journalistin zu den wichtigsten trans Stimmen in Deutschland. Täglich meldet sie sich auf Twitter zu queeren Themen zu Wort, sie wird zu Talkshows eingeladen, erhält Preise und gerät immer wieder ins Visier der AfD. Als trans Frau und Mitarbeiterin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist sie gleich doppeltes Feindbild.

    Was bei Kellermann auffällt: Sie argumentiert stets freundlich und geduldig, stellt sich selbst nicht in den Vordergrund, verliert nie die Fassung und entschuldigt sich lieber vorbeugend, als zum Gegenangriff auszuholen. Etwa als ihr die „Bild“-Zeitung im Oktober ziemlich böswillig antipolnische Ressentiments unterstellte. Obwohl sich der transfeindliche Mob hemmungslos auf ihrer Twitter-Seite austobt, blickt sie positiv auf das Erreichte in Deutschland. Von Verbitterung findet man bei der Frau, die sich vier lange Jahrzehnte vor der Öffentlichkeit versteckte, keine Spur.

    „Wie können Sie so milde sein?“, will denn auch Johannes Kram in seinem neuen QUEERKRAM-Podcast von Georgine Kellermann wissen. „Ich glaube, dass die Gesellschaft reif ist für Menschen wie mich“, sagt die Journalistin. Die transfeindlichen Kommentare auf Twitter lese sie gar nicht mehr. „Ich stelle mir dann immer die Menschen vor, wie sie in ihrem Zimmer sitzen und nichts haben außer ihre Tastatur.“
    Es gebe gar nicht so viele Transfeinde in Deutschland, glaubt Kellermann. „Aber die schreien extrem los, und die sind stark vernetzt untereinander.“ Die Allies seien „viel zahlreicher, aber die gehen nicht auf jeden Unsinn ein, die das ablehnende Lager schreibt“. Zur Situation von trans Menschen meint die Leiterin des WDR-Studios Essen: „Wir sind noch nicht in einer Selbstverständlichkeit, aber wir kommen da langsam hin.“

    Im Podcast spricht Kellermann erneut über die Begegnung am Düsseldorfer Flughafen, die 2019 zu ihrem spontanen Coming-out führte („Ich habe mir gewünscht, erwischt zu werden“). Sie erzählt, wie sehr sie von der Amazon-Serie „Transparent“ inspiriert wurde, übt Kritik an „Kampfblättern“ wie „Emma“, glaubt fest daran, dass das Selbstbestimmungsgesetz 2023 kommt, und erklärt, warum sie sich in ihrer neuen Rolle als Aktivistin und Vorbild rundherum wohlfühlt. Nur beim Thema „Passing“ übt sie leichte Kritik an der queeren Szene: „Die Trans-Frauen-Community macht es ihren eigenen Schwestern nicht leicht.“

    Gleich mehrfach schlägt Johannes Kram im Podcast vor, Kellermanns bewegtes Leben zu verfilmen. „Bislang hat mich niemand gefragt, aber ich weiß gar nicht, ob ich das möchte“, entgegnet die Journalistin. Allerdings verrät sie, dass sie im Moment ein sehr persönliches wie politisches Buch schreibe, ein Drittel sei bereits fertig.

    Auch bei diesem neuen Meilenstein zeigt sich Georgine Kellermann uneitel und wundert sich, dass sie für das Werk einen Honorarvorschuss erhält. „Eigentlich müsste ich ja Geld dafür zahlen“, meint die 65-Jährige. „Diese intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben hätte ich nicht gehabt, wenn man mich nicht gefragt hätte.“
    - Micha Schulze, queer.de
    26.11.2022

  • Luca Renner und Alfonso Pantisano sprechen über den Spagat zwischen Aktivismus und Realpolitik, Queerfeindlichkeit in linken Parteien und die Frage, wo die Gesprächsbereitschaft endet.

    Zu den sehr deutschen Besonderheiten der LGBTI-Bewegung gehört, dass sich nicht wenige ihrer bekannten Vertreter*innen parallel und an ebenso herausragender Stelle in Parteien engagieren. Der queere Marsch durch die Ortsvereine und Kreisvorstände hat nicht nur Vorteile. Ohne die Verdienste der fleißigen Aktivist*innen mit Parteibuch zu schmälern: Manchmal können sie ihre jeweiligen Hüte nicht auseinanderhalten und verlieren bei Bewertungen gelegentlich das Augenmaß.

    Wie schwer der Spagat zwischen queerem Aktivismus und zäher Realpolitik (nicht nur) in den Parteien ist, darüber redet Johannes Kram in einer neuen QUEERKRAM-Folge mit Luca Renner und Alfonso Pantisano. Renner ist eine von vier Bundessprecher*innen von Die Linke.queer und seit 2016 Mitglied des ZDF-Fernsehrats, Pantisano macht als Landesvorsitzender der SPDqueer in Berlin und Mitglied des LSVD-Bundesvorstands oft von sich reden.

    Beide Aktivist*innen sind dafür bekannt, radikale Forderungen zu stellen und kein Blatt vor den Mund zu nehmen, gleichzeitig scheuen sie auch nicht den Dialog und wissen die Erfolge einer Politik der kleinen Schritte zu schätzen. Das Versprechen in der ZDF-Selbstverpflichtungserklärung 2021/2022, verstärkt auch die queere gesellschaftliche Vielfalt abzubilden, sieht Renner etwa als Erfolg ihres jahrelangen Nachbohrens.

    Pantisano plaudert sehr spannend aus dem Nähkästchen, wie er den früheren Berliner Innensenator Andreas Geisel dazu gebracht habe, das Thema Hasskriminalität gegen queere Menschen auf die Tagesordnung der Landesinnenministerkonferenz zu setzen. Er habe seinen Parteifreund bei einer Veranstaltung einfach auf das Thema angesprochen und sei zunächst freundlich abgebügelt geworden, berichtet er im Podcast. Erst als er einen kleinen Wutausbruch bekommen habe, sei Geisel der Ernst des Themas bewusst geworden. Kurz darauf später habe er tatsächlich einen Anruf bekommen.

    Im Gespräch mit Johannes Kram geht es natürlich auch um Wolfgang Thierse und Sahra Wagenknecht, um Queerfeindlichkeit in den eigenen Parteien. „Die SPD darf noch lernen, wie das Thema Solidarität neu definiert wird“, räumt Alfonso Pantisano ein, sieht jedoch insgesamt keine queerfeindliche SPD-Kultur. Gegner*innen von LGBTI-Rechten gebe es auch bei den Grünen. In der Linken sei der Kampf gegen LGBTI-Feindlichkeit schwieriger als in der SPD, meint Luca Renner überraschend selbstkritisch. Im Podcast nennt sie die Gründe und verrät auch, wie Die Linke.queer auf das jüngste Lästern von Gregor Gysi über geschlechtergerechte Sprache reagieren will.

    Immer wieder geht es um den vielbeschworenen Dialog. Kann man den Einfluss des Vatikans bekämpfen und gleichzeitig mit einem Vertreter der katholischen Kirche befreundet sein? Wie ernst müssen wir irrationale Ängste vor dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz nehmen?

    „Politiker*innen muss man nichts mehr erklären“, sagt Pantisano zu den Grenzen der Diskussionsbereitschaft, die politische Debatte über das Transsexuellengesetz werde schließlich schon seit Jahren geführt. „Wenn aber Nachbar*innen Fragen haben, beantworte ich sie gern.“ Renner, selbst nichtbinär und mit „Sisterhood, not cisterhood“-T-Shirt im Tonstudio erschienen, mahnt ebenfalls zur Eile. „Die Mehrheiten sind da, das Selbstbestimmungsgesetz gehört jetzt verabschiedet.“

    Den heftigen Widerstand gegen ein Selbstbestimmungsgesetz erklärt Alfonso Pantisano it mit Angst vor Machtverlust. „Sie wollen weiter diskriminieren, sie wollen keine Kontrolle abgeben“, sagt der LSVD-Bundesvorstand über die Gegner*innen, die sich selbst bei der SPDqueer fänden. „Immer älter werdende schwule Männer verlieren manchmal, so glauben sie es jedenfalls, ihre Deutungshoheit über das queere Leben, weil plötzlich andere Themen wichtiger werden als sie selbst.“

    Micha Schulze, queer.de 23.07.2022

  • Der Infektiologe Hartmut Stocker und der Sprecher der Deutschen Aidshilfe Holger Wicht sprechen über den MPX-Ausbruch in der schwulen Community, die Ansteckungsgefahr beim CSD und notwendige Präventionsmaßnahmen.

    In Köln werden an diesem Wochenende wieder Hunderttausende zum CSD erwartet. Manche Menschen bleiben allerdings auch zuhause. Denn Corona ist nicht einfach verschwunden, der Anschlag in Oslo hat neue Ängste geweckt, und dann gibt’s ja nun auch noch die Affenpocken. Über 1.000 Fälle meldete das RKI am 1. Juli aus allen 16 Bundesländern, bei den Infizierten handelt es sich fast ausnahmslos um schwule Männer. Pride-Veranstaltungen seien „wirkungsvolle Gelegenheiten" für das MPX-Virus, um "junge, sexuell aktive und hochmobile Leute" zu befallen, warnt selbst die WHO.

    Wie sicher ist der CSD? Das ist nur eine von vielen Fragen, die Johannes Kram den Gästen seines neuen QUEERKRAM-Podcasts stellt. Mit Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am Berliner St. Joseph Krankenhaus, und Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe, spricht er eine Stunde lang über den weltweiten MPX-Ausbruch, neue medizinische Erkenntnisse, die Balance zwischen Stigmatisierungsgefahr und gezielter Ansprache der sexpositiven schwulen Szene und wie der noch knappe Impfstoff am besten verteilt werden sollte.

    Ein „zufälliger Startpunkt“ (Wicht) und „reines Zufallsgeschehen“ (Stocker) sei es, so betonen beide, dass sich die Infektionen aktuell überwiegend unter homo- und bisexuellen Männern mit wechselnden Sexpartnern verbreiten. „Wenn das Virus erstmal in einer Gruppe drin ist, dann geht es rund“, erklärt der DAH-Pressesprecher.

    Anderthalb Monate nach dem Auftreten der ersten Fälle hat der Chefarzt neue, wichtige Erkenntnisse. Zum einen komme es immer wieder zu sogenannten Superinfektionen mit anderen Krankheitserregern, zum anderen habe er Patienten mit äußerst schmerzhaften Analentzündungen. Gerade an der Eintrittsstelle des Virus in den Körper beobachte er besonders heftige Pocken-Reaktionen mit späterer Vernarbung. Bei einer Infektion etwa am Mund werde „das nicht wieder hübsch“.

    Für manche Betroffene seien die Affenpocken eine wortwörtliche „pain in the ass“, bestätigt Holger Wicht. Bedeutet das ein Comeback des Kondoms? „Das Kondom reduziert das Risiko an bestimmten Stellen, aber es ist keine Garantie, dass man sich nicht infiziert“, stellt der Wicht klar. „Kondome schützen deine besten Teile“, wird Hartmut Stocker deutlicher. Beide setzen auf Aufklärung und wollen, dass Menschen ihre eigenen Risikoabwägungen und Entscheidungen treffen. Wicht etwa, so erzählt er im Podcast, verzichtet aktuell auf Besuche in der Sauna.

    Von der kompletten Schließung schwuler Dampfbäder oder Darkrooms, wie auch teilweise aus der Community gefordert wird, halten die beiden Experten überhaupt nichts. Schneller Sex lasse sich nicht verbieten, schon gar nicht im Zeitalter von Grindr, warnt der DAH-Sprecher und verweist auf die Erfahrungen aus der Aidskrise. Der Affenpocken-Ausbruch ließe sich mit solchen Maßnahmen auch gar nicht mehr stoppen, ergänzt der Chefarzt.

    Auch beim Pride-Wochenende an diesem Wochenende in Köln setzen die beiden Podcast-Gäste auf persönliche Risikoabwegung. „„Lasst euch nicht den Spaß verderben. CSDs sind nicht infektiös. Es kommt darauf an, was man tut“, sagt Wicht.

    Aber kann man denn nun jemand mit nacktem Oberkörper auf der Parade noch unbedenklich umarmen? Auch darüber diskutieren der DAH-Pressesprecher und der Chefarzt, die sich in vielen, aber nicht allen Punkten einig sind, und sich vor allem mit klaren Verhaltensregeln schwertun. Es gibt viele Zwischentöne, es geht um zahlreiche weitere Aspekte im Umgang mit den Affenpocken, darunter Scham und Ausgrenzung, aber auch um die nicht gerade wenigen offenen Fragen. Ein absolut informatives und hilfreiches Gespräch, um die Lage selbst besser einschätzen und eigene Abwägung treffen zu können.

    - Micha Schulze, queer.de, 2. Juli 2022

  • Julia Shaw, die mit "Bi" das erste populäre Sachbuch über Bisexualität veröffentlicht hat, spricht über Angst vor Fluidität, Doppeldiskriminierung, das Schaffen von Sichtbarkeit und ihren persönlichen „Bi-Look“.

    Die gesellschaftliche Diskussion über Bisexualität hinkt der Debatte über Homosexualität etwa 30 Jahre hinterher, sagt Julia Shaw im neuen QUEERKRAM-Podcast von Johannes Kram. Für ihre These hat die in London lebende Psychologin und Autorin einen sehr überzeugenden Beweis: Ihr neues Werk "Bi - Vielfältige Liebe entdecken", erschienen vor knapp zwei Wochen bei Hanser, ist das allererste populäre Sachbuch zum Thema überhaupt. Tatsächlich hat sich nie zuvor ein Verlag aus wissenschaftlicher Perspektive mit Bisexualität beschäftigt. Zum Vergleich: Der Klassiker „Der gewöhnliche Homosexuelle“ von Martin Dannecker und Reimut Reiche erschien bereits 1974.

    Shaws bahnbrechendes Buch, das bereits in mehrere Sprachen übersetzt wurde bzw. wird, steht denn auch im Mittelpunkt des Podcasts. Die Autorin, 1987 in Köln geboren und in Kanada aufgewachsen, ist selbst bisexuell. Sie habe „Bi“ geschrieben, weil ihr im eigenen Leben ein solcher „Atlas der Bi-Welt“ gefehlt habe, sagt sie im Gespräch mit Johannes Kram. Und weil es höchste Zeit gewesen sei, die zahlenmäßig „größte sexuelle Minderheit“ in Geschichte, Kultur und Wissenschaft endlich sichtbarer zu machen.

    Tatsächlich gibt es deutlich mehr Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen, als „hundertprozentige“ Lesben und Schwule – doch die meisten Bisexuellen sind nicht out. Nicht in der Beziehung, nicht im Freundeskreis und schon gar nicht am Arbeitsplatz. Bisexuelle versteckten ihre sexuelle Orientierung doppelt so häufig wie Homosexuelle, zitiert Julia Shaw aus Studien. Und versucht Antworten zu geben, warum dies so ist.

    Die Psychologin beklagt eine Doppeldiskriminierung und sieht das größte Problem in der gesellschaftlichen Biphobie. Ganz bewusst spricht sie von einer Phobie und nicht von Feindlichkeit. „Die Menschen haben Angst vor der Fluidität“, erklärt Shaw. „Wir schließen uns sehr ein in diese monosexuellen Identitäten.“ Als bisexuelle Frau habe sie sich oft gefragt, wo sie überhaupt hingehöre.

    Leider ist auch die queere Community nicht unbedingt ein Safe Space für Bis. Trotz aller Floskeln, die wir zum CSD oder zum IDAHOBIT hören, fallen sie und ihre Anliegen oft unter den Tisch. Julia Shaw legt sogar noch einen drauf: „Biphobie erleben wir vor allem in der queeren Community“, beklagt sie Podcast. Während Heteros bisexuellen Menschen oft mit einer „Hypersexualisierung“ begegneten („Du willst es mit jedem, du kannst ja nicht treu sein“), reagierten Lesben und Schwule häufiger mit offener Ablehnung. Bisexuelle würden als Eindringlinge betrachtet oder belächelt als Personen in einer „Phase“ auf dem Weg zum „richtigen“ Coming-out. Sie selbst fühle sich in Lesbenbars als „Touristin“.

    In dem sehr lebendigen wie spannenden Podcast erklärt die Autorin außerdem, warum der Begriff „bisexuell“ nichts mir Binarität zu tun hat und Liebe zu nichtbinären Personen keineswegs ausschließt, warum das Wort selbst in einer queeren Serie wie „Orange Is the New Black“ als „dreckig“ gilt und warum Katy Perrys Song „I Kissed a Girl“ alles andere als emanzipatorisch ist. Shaw berichtet von ihren Bemühungen, auch im Privaten als bisexueller Mensch sichtbar zu sein und ihren persönlichen, „nicht-heteronormativen“ Bi-Look zu kreieren.

    Trotz der teils scharfen Kritik ist „Bi“ keine Abrechnung mit der queeren Community, sondern eine freundliche Einladung zum Dialog. Mit viel Feuer appelliert Julia Shaw an ihre Leser*innen, über ihren Umgang mit bisexuellen Menschen, über Vorurteile, Ängste sowie auch über die eigene sexuelle Identität nachzudenken. Im Gespräch mit Johannes Kram sagt sie: „Ich hoffe, dieses Buch trägt dazu bei, dass sich Menschen wirklich neue, frische Fragen stellen, auch wenn ihre Identität am Ende dieselbe bleibt.“
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    Micha Schulze, queer.de - 28. Mai 20

  • Literaturwissenschaftler Benedikt Wolf und der Zeitzeuge Harm-Peter Dietrich sprechen über Felix Rexhausens Buch „Zaunwerk“, das Anfang der 1960er Jahre keinen Verlag fand.

    Der junge Literaturwissenschaftler Benedikt Wolf hat einen echten Schatz entdeckt. Im Schwulen Museum in Berlin blickte er offenbar als erste Person in den Nachlass des 1992 gestorbenen Schriftstellers Felix Rexhausen - und stieß völlig unerwartet auf den Durchschlag eines Typoskripts für den wohl ersten schwulen Roman der Bundesrepublik.

    „Zaunwerk. Szenen aus dem Gesträuch“ heißt das schonungslos ehrliche Buch über das Leben homosexueller Männer in der alten Bundesrepublik zwischen Paragraf 175 und Cruisingpark, zwischen Razzia, Versteckspiel und Klappe. Rexhausen schrieb es Anfang der 1960er Jahre unter Pseudonym. Wie Wolf mittlerweile herausfand, lehnte ein großer Publikumsverlag damals die Veröffentlichung ab. Erst mit fast 60 Jahren Verspätung ist „Zaunwerk“ Ende letzten Jahres in der Bibliothek rosa Winkel des Männerschwarm Verlags erschienen, am 17. Mai folgt eine von Schauspieler Klaus Nierhoff eingesprochene Hörbuchfassung.

    Höchste Zeit also, sich dieser „literarischen Sensation“ (Tilman Krause in „sissy“) einmal genauer zu widmen. Johannes Kram hat dafür in seinem QUEERKRAM-Podcast nicht nur Benedikt Wolf zu Gast, sondern auch den 86-jährigen Zeitzeugen Harm-Peter Dietrich, der das schwule Leben in den 1960er Jahre hautnah miterlebt hat. „Wenn ich das damals gelesen hätte, hätte ich es kaum glauben können“, sagt Dietrich über Rexhausens Roman. „Ich war von den Socken, ich hatte das alles so erlebt.“

    Der Journalist Felix Rexhausen arbeitete u.a. für den „Spiegel“ und den WDR, war Mitbegründer von Amnesty international Deutschland und veröffentlichte u.a. den schwulen Roman "Lavendelschwert" (1966) und den homoerotischen Erzählband "Berührungen" (1969). In „Zaunwerk“ beschreibt er mit genialer Selbstironie die Cruisingrituale homo- und bisexueller Männer in Parkanlagen und rund um öffentliche Toiletten – damals die fast einzige Möglichkeit, jemanden für zehn Minuten oder länger kennenzulernen. „Choreografie des Begehrens“ nennt Benedikt Wolf das oft stundenlange nächtliche Herumgerenne und -gegucke, bei dem man nie zu viel, aber auch nie zu wenig Interesse zeigen durfte.

    Auch er sei oft „auf den Zwitsch“ gegangen, erzählt Harm-Peter Dietrich im Podcast. Über seine heimlichen Ausflüge in die „Pissbudenszene“ habe er sich zum einen geschämt, zum anderen habe er dort Freunde und Bekannte treffen können, um mit ihnen über andere „Klappenhuren“ zu lästern. Allein die Suche an diesen verbotenen Orten hatte damals für ihn eine soziale wie lustvolle Komponente, die heute im Zeitalter vom Grindr verloren gegangen sei.

    So wie vereinzelte Männer damals über ihre Vereinzelung zusammenfanden, vernetze Rexhausen in „Zaunwerk“ auch die einzelnen, meist in sich abgeschlossenen Kapitel, analysiert Benedikt Wolf. Der Literaturwissenschaftlicher und der Zeitzeuge ergänzen sich hervorragend in dem Gespräch. Sie ordnen Rexhausens Beobachtungen aus den 1960er Jahren ein und arbeiten heraus, welche Strukturen auch heute noch im schwulen Alltag eine Rolle spielen. Im Podcast sprechen sie über historisches Erinnern und homosexuellen Selbsthass, die Gefahren, die damals von Polizei und Strichern ausgingen, über Mundpropaganda als einzige Informationsquelle, die Unterschiede zwischen einzelnen deutschen Städten und das damals übliche Siezen in den Homobars - in „Zaunwerk“ duzen sich die Schwulen nur beim Sex.

    Was wäre wohl passiert, hätte Rexhausens Buch Anfang der 1960er Jahren doch einen Verlag gefunden? Hätte es ein früherer Startschuss für die westdeutsche Schwulenbewegung sein können als Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers…“? Oder hätte es die staatliche Repression eher noch verschärft?

  • Die Schlagersängerin Kerstin Ott spricht über ihr neues Lied „Der Morgen nach Marie“, das gemeinsame Feiern von Schwulen, Lesben und Heteros sowie die Last, ein Vorbild zu sein.

    Es ist vermutlich kein großes Geheimnis, dass bei den Redaktionspartys von queer.de gerne Schlager aufgelegt wird. Neben Nana Mouskouri und Rex Gildo befindet sich seit einigen Jahren auch Kerstin Ott in der Playlist, ihre Songs können vom Anzeigenleiter bis zum Chefredakteur wirklich alle mitsingen. „Kommt, lasst uns die Welt bemalen in Regenbogenfarben!“ - dieses Ziel haben wir uns als „Zentralorgan der Homo-Lobby“ schließlich ebenfalls auf die Fahnen geschrieben.

    Entsprechend groß ist die Aufregung, als ich in unserer täglichen Videokonferenz den neuesten Podcast-Gast von Johannes Kram ankündige. Bevor am Freitag eine Deluxe-Edition ihres Albums "Nachts sind alle Katzen grau" mit sechs nagelneuen Songs erscheint, hat Kerstin Ott nämlich im QUEERKRAM-Studio vorbeigeschaut. Eine ganze Stunde lang spricht sie über ihre sagenhafte Karriere, die teils sehr ernsten Themen ihrer Hits, ihre Vorbildfunktion und ihr Verhältnis zur queeren Community.

    Auch Johannes Kram ist etwas aufgewühlt, hat er doch beim Pre-Listening des neuen Albums den Song „Der Morgen nach Marie“ entdeckt. Eine „Sensation“, stellt er im Podcast fest, „die erste lesbische Liebesnacht im deutschen Schlager“. Tatsächlich geht es in dem Gute-Laune-Stück um eine Herzensbrecherin in einer Bar, die erst mehreren Männern den Kopf verdreht, bis sich Ott mit einem wunderbaren Twist in der letzten Strophe outet:

    Ich war selbst in sie verliebt.
    Manchmal denk ich nach,
    was hab‘ ich falsch gemacht,
    dass es bei einem Abend blieb.
    Das ist der Morgen nach Marie,
    so viele Tränen sah ich nie.

    Während sich Johannes Kram sehr darüber freut, dass künftig auch Heteros diese neue queere Hymne mitsingen werden, spielt die 40-Jährige die Bedeutung des Songs herunter. „Das Lied ist nicht autobiografisch“, stellt Ott klar, die sexuelle Orientierung spiele keine Rolle. „Jeder hat schon so eine witzige Situation erlebt, dass der eine an dem einen Abend gedacht hat, heute bin ich der King, und am nächsten Tag war er todtraurig, dass es nicht so war, wie er es sich vorgestellt hat.“ Während „Der Morgen nach Marie“ Kram echte „Glücksmomente“ schenkt, meint die Sängerin: „Jeder interpretiert den Song ja auch für sich neu und anders und auf seine Art und Weise.“

    Warum so zurückhaltend? Kerstin Ott verweigert sich weiblichen Klischees im Schlagerbusiness, sie hat ihren queeren Song „Regenbogenfarben“ im Duett mit Helene Fischer gesungen und als erste Teilnehmerin bei „Let’s Dance“ mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin getanzt. Sie ist ein Vorbild für viele Queers, doch in dieser Rolle scheint sie sich nicht besonders wohlzufühlen. Sie habe immer aus „meinem Herzen heraus“ gehandelt, nicht um ein Statement zu setzen, sagt sie im Podcast. Sie wolle keine Oberlehrerin sein. Ott gibt aber auch zu: „Ich habe Angst davor, dieser Verantwortung nicht gerecht zu werden.“

    In dem Gespräch mit Johannes Kram geht es außerdem um Gesangsunterricht in der Pandemie, die Entstehungsgeschichte ihrer Songs, ihren Umgang mit Hasskommentaren, ein mögliches Duett mit Patrick Lindner, ihre Regenbogenfamilie und ihr breit gefächertes Publikum. Ob sie beim CSD auftritt oder im ZDF-Fernsehgarten, das macht für Kerstin Ott keinen großen Unterschied: „Ich mag es einfach gerne, wenn die Leute feiern und fröhlich sind und sich dem Ganzen hingegeben können.“

    Schubladendenken und Ausgrenzung sind ihr zuwider. Das Gemeinsame und Verbindende, das sie in ihren Schlagern besingt, wünscht sich Ott auch selbst. Dabei sieht sie Toleranz-Defizite nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der queeren Community. „Können wir nicht alle zusammen feiern?“, fragt die Berlinerin und erzählt, dass sie selbst gar keine Lesbenkneipen mehr brauche. Nicht mal zum sicheren Anbaggern, will der verwunderte Johannes Kram wissen. „Das sehe ich ja sportlicher,

  • Inga Pylypchuk und Wanja Kilber erklären, wie es zum russischen Überfall auf die Ukraine kommen konnte, wie sich die Lage queerer Menschen in beiden Ländern entwickelt hat, wie man helfen kann und warum in Kiew auch unsere Freiheit verteidigt wird.

    Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Welt und auch die Stimmung in unserer Redaktion verändert. Ich selbst habe mich kurz gefragt, wie wir – business as usual – jetzt über queere Streaming-Serien, fröhliche Eurovision-Liedchen oder homofeindliche Schmierereien in der Provinz berichten können, wo doch mitten in Europa Bomben fallen. Wir machen weiter unseren Job, aus gutem Grund, und informieren zusätzlich u.a. ausführlich über die Hilfsangebote für die queeren Opfer der Invasion.

    Auch Johannes Kram hat einen neuen QUEERKRAM-Podcast aufgenommen. Seine 32. Folge fällt aus der Reihe, denn sie stellt keine Person, sondern den russischen Überfall auf die Ukraine, dessen Vorgeschichte und die Folgen in den Mittelpunkt. Mit der ukrainischen Journalistin und Filmemacherin Inga Pylypchuk und dem aus Russland stammenden Aktivisten und Co-Gründer von Quarteera Wanja Kilber hat er dafür zwei hochkompetente Gäste gefunden. Sie sind sehr nah dran am Geschehen und können es doch mit dem Abstand in Deutschland lebender Migrant*innen reflektieren.

    Seit Kriegsbeginn hat sich das Leben von Inga und Wanja komplett verändert, seit drei Wochen fanden sie nur wenig Schlaf. „Emotional ist es eine Hölle“, erzählt die Journalistin, die viele Freund*innen in der Ukraine hat und ihrer eigenen Mutter zur Flucht verhalf. „Ich empfange jeden Tag jemanden in Berlin, und jeden Tag sprechen wir über die Kriegserlebnisse.“

    Wanja engagiert sich bei der Geflüchteten-Hilfe von Quarteera, vor dem Podcast-Gespräch war er am Berliner Hauptbahnhof. „Helfen hilft“, sagt er gleich mehrfach im Podcast. „Die Hilfsbereitschaft ist enorm, das hilft mir einzuschlafen.“ Allein durch das Engagement von Quarteera haben laut Wanja bereits 175 Menschen und 18 Haustiere ein temporäres Zuhause gefunden, parallel schickt das Queere Bündnis Nothilfe HIV-Medikamente und Hormonpräparate für trans Menschen, beides mittlerweile Mangelware, in die Ukraine.

    „Schlimmer als alle Alpträume“, nennt Inga die Situation in ihrer früheren Heimat. „Wir hatten das Gefühl, dass sich das Land in die richtige Richtung entwickelt.“ Die Akzeptanz queerer Menschen sei seit Jahren gestiegen, der Staat habe sich schützend vor LGBTI-Paraden gestellt – ganz anders als in Russland, wo es schlimmer geworden sei. Putin habe Queerfeindlichkeit gezielt genutzt, um das Land hinter sich zu vereinen, analysiert Wanja, der schon vor Jahren gegen die „Homo-Propaganda“-Gesetze protestierte.

    Für beide ist Putins Russland heute ein „faschistischer Staat“, dem nicht zu trauen sei, der von nichts zurückschrecke, der mit friedlichen Mitteln nicht gestoppt werden könne. Unterdrückung von LGBTI und der Überfall auf ein Nachbarland sind für Inga und Wanja zwei Seiten einer Medaille. Von EU und Nato fordern sie deshalb mehr Engagement, etwa eine Flugverbotszone. „Die Ukrainer*innen verteidigen auch unsere Freiheit und unsere Werte“, mahnt Inga. „Die Deutschen haben den Ernst der Lage nicht verstanden.“ Er freue sich schon auf Rote-Beete-Partys nach Putins Tod, gibt Wanja einen Hinweis, wie er sich eine Ende des Kriegs vorstellt.

    Im Podcast geht es ausführlich um die Situation in Mariupol, das für Inga einst „zweite Heimatstadt“ war, um angebliche Todeslisten mit den Namen von LGBTI-Aktivist*innen, um queere Kämpfer*innen mit Regenbogenaufkleber auf dem Maschinengewehr und den „doppelten Krieg“ queerer Ukrainer*innen, die sich auf der Flucht outen müssen oder als trans Frau das Land nicht verlassen dürfen, weil im Pass ein Männername steht.

    Um eine der wichtigsten Fragen geht es am Schluss im Podcast : Wie kann man helfen? (...)
    Micha Schulze, queer.de

  • Die Grünen-Politiker Sven Lehmann und Arndt Klocke, seit 20 Jahren ein Paar, sprechen in ihrem ersten gemeinsamen öffentlichen Gespräch über ihre offene Beziehung, ihre unterschiedlichen Karrieren und ihre queerpolitische Agenda.

    Bill und Hillary Clinton, Margot und Erich Honecker, Olaf Scholz und Britta Ernst, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, Frank und Claire Underwood – erfolgreiche Paare in der Politik üben auf viele Menschen eine ganz besondere Faszination aus. Wie kann eine glückliche Beziehung im Spannungsverhältnis zwischen Liebe, Macht und Rivalität unter ständiger Beobachtung der Öffentlichkeit gelingen?

    Antworten auf diese Frage gibt im neuen QUEERKRAM-Podcast Deutschlands ranghöchstes schwules Politpaar. Die beiden Grünen-Parlamentarier Sven Lehmann und Arndt Klocke sind bereits seit 20 Jahren zusammen. Der eine ist Staatssekretär im Bundesfamilienministerium und erster Queerbeauftragter der Bundesregierung, der andere Vize-Fraktionschef in Landtag von Nordrhein-Westfalen. Johannes Kram ist es gelungen, die beiden für ihr erstes gemeinsames öffentliches Gespräch vor das Mikrofon zu bekommen.

    „Wir haben auch ein Privatleben, und das ist gut so“, erklärt Sven Lehmann das Erfolgsrezept der langjährigen Beziehung. „Wir sind nicht unsere Berater“, ergänzt Arndt Klocke. „Wir reden gar nicht so viel über Politik, wenn wir zusammen sind.“

    Bei der Karriere hatte zunächst Arndt Klocke die Nase vorn. Bereits 2010 zog er in den Düsseldorfer Landtag ein, zuvor war er Landesparteichef. Als seinen Nachfolger wählten die NRW-Grünen damals Sven Lehmann, der dann mächtig aufholte: 2017 gelang ihm der Einzug in den Deutschen Bundestag und bereits vier Jahre später in die Regierung. „Wir haben uns nie gegenseitig protegiert, wir sind immer eigenständig in die Ämter gekommen“, stellt der frischgebackene Staatssekretär klar.

    Neidisch sei er nicht auf seinen Freund, sagt Klocke im Podcast. Er habe sich bewusst für die Landespolitik entschieden. Neue Ämter schließt er allerdings nicht aus: „Schauen wir mal, was noch kommt.“ Lehmann wiederum kann sich nicht vorstellen, irgendwann einmal gegen seinen Partner zu kandidieren: „Keine politische Karriere ist so wichtig, als dass sie die Beziehung gefährden sollte.“

    Im Gespräch mit Johannes Kram spricht Sven Lehmann über seine Gefühle, wie es war, als Vertreterin der Ministerin erstmals am Kabinettstisch zu sitzen, und verrät erste konkrete Zeitpläne zu den queerpolitischen Vorhaben der Ampelregierung. „Ich bin überrascht, wie groß die Aufmerksamkeit plötzlich für Dinge ist, die ich schon immer gefordert habe“, sagt er über sein Amt als Queerbeauftragter. Lehmann verrät, wie er die katholische Kirche nach #OutInChurch zu einer Änderung ihres diskriminierenden Arbeitsrechts bewegen will, und kündigt an, sein Mitspracherecht in anderen Ministerien laut und deutlich wahrzunehmen: „Ich habe nicht vor, der queere Grußwortsprecher zu werden.“

    Natürlich geht es im Gespräch mit Johannes Kram auch um die beiden großen Tabubrüche von Arndt Klocke. 2017 sprach der Landtagsabgeordnete im „Kölner Stadt-Anzeiger“ öffentlich über seine überwundene Depression, ein Jahr später outete er sich im LGBTI-Magazin „Fresh“ als PrEP-Nutzer und sprach über seine sexuellen Begegnungen außerhalb der Beziehung. „Das Private ist politisch“, sagt er im Podcast, er habe anderen Menschen helfen wollen. Dennoch habe ihm eine Parteifreundin nach der PrEP-Story gesagt: „Mir wäre das peinlich.“

    An dieser Stelle wird ein großer Unterschied zu den bekannten hetero Politpaaren deutlich. Dass Olaf Scholz oder Sahra Wagenknecht in Interviews übers sogenannte Fremdgehen sprechen, ist kaum vorstellbar. „Dass wir eine offene Beziehung haben, ist nichts, was man verstecken muss“, sagt dagegen Sven Lehmann. „Ich würde das den Heteros gönnen und wünschen. Das ist Teil unserer schwulen Kultur.“
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    Micha Schulze, queer.de, 12. Februar 2022

  • Berlins erfolgreichste Dragqueen Jurassica Parka spricht über Travestie als Mode im Mainstream, Fragen unter der Gürtellinie und die Pandemie als Karriere-Booster.

    Sie fragt ihre Gesprächspartner*innen Dinge, die sonst niemand zu fragen wagt – aus dem Nichts heraus, absolut respekt- und schonungslos, oft weit unter der Gürtellinie. Und dennoch kann sich Jurassica Parka, Berlins erfolgreichste Dragqueen, nicht über prominente Gäste ihrer legendären Late-Night-Show „Paillette geht immer“ im BKA-Theater beklagen. Auch als Youtuberin, Podcasterin, DJ, Partyveranstalterin und Performerin hat sie sich weit über die Hauptstadt hinaus einen Namen gemacht.

    Nun sind die Rollen einmal umgedreht: In der neuen QUEERKRAM-Folge beantwortet Parka die Fragen von Johannes Kram, der in der 30. Ausgabe seines Podcasts zum allerersten Mal eine Dragqueen im Studio begrüßt. Gekommen ist die 42-Jährige, die mit bürgerlichen Namen Mario Olszinski heißt, allerdings in zivil. „Ich laufe nicht jeden Tag im Fummel rum“, erzählt Jurassica. Die Heels seien auf Dauer unbequem, die Haare der Perücke hingen stören im Gesicht herum, auch sitze sie dann ganz anders. Im Podcast höre man schließlich nur ihre Stimme, und die sei genau dieselbe.

    „Wir sind ein und dieselbe Person“, erfahren wir außerdem über Jurassica und Mario. Auf die Bühne steige sie aber nur in Drag. „Wenn ich den Fummel anhabe, kann ich viel frecher sein. Da wird dir auch viel mehr verziehen.“ Und sie hat eine weitere Erklärung dafür, warum sie noch immer Opfer für ihre Grenzüberschreitungen findet: „Ich erzähle auch wahnsinnig peinliche Geschichten von mir, so als Wiedergutmachung.“

    Das macht sie dann auch bei Johannes Kram: „Ich schäme mich manchmal in Grund und Boden, wenn ich später Aufzeichnungen meiner Auftritte sehe“, erzählt die Dragqueen. Als Beispiel nennt sie ihr Format „Nuttengucken“, in dem sie einst Folgen von „Germany’s Next Top Model“ kommentierte – teils sexistisch und rassistisch. Diese Videos seien längst gelöscht. Jurassica Parka spricht offen über ihre Fehler, aus denen sie gelernt habe. Sie sei insgesamt sensibler und politischer geworden, mache vermehrt Ausgrenzungen und Diskriminierungen zum Thema. Als Dragqueen habe sie eine Vorbildfunktion.

    Im Podcast geht es außerdem um Hasskommentare („Youtube ist das Sammelbecken der Bekloppten“), um Geld und Ruhm, um die „Golden Girls“ als „Tunten-WG“ und ihre Vollplayback-Musical-Show „The Golden Gmilfs“, ihren Einsatz als Botschafterin für das queere Berlin im Rahmen der Tourismuskampagne „Place2Be“ und was sie mit Anfang zwanzig als Grafiker in der Werbeagentur Scholz & Friends gelernt habe.

    Natürlich spielt auch Corona eine Rolle. Die Pandemie habe ihr einen unerwarteten Booster gegeben, erzählt Jurassica Parka. Denn nun kann man sich ihre Shows als Stream in aller Welt anschauen. Im Gespräch mit Johannes Kram erzählt sie allerdings auch, wieviel Arbeit hinter diesem Erfolg steckt.
    Dass die Drag-Kultur immer mehr im Mainstream landet, ist für Parka ein zweischneidiges Schwert. „Transen, Tunten, Drags sind gerade megacool und angesagt, und tatsächlich nervt mich das bisschen“, erzählt sie im Podcast. Denn dabei bleibe die subversive Gesellschaftskritik auf der Strecke. Andererseits sei die ProSieben-Show „Queen of Drags“ zwar „grottenschlecht“ gewesen, aber auch ein „tolles Sprungbrett“ für die queeren Kandidat*innen sowie ein „positives Lehrstück für die armen Heteros“. Mit Kram teilt sie allerdings die Sorge, dass der Drag-Boom zu Lasten von trans Menschen gehe. „Ich bin gerne ein cis Mann, das verwirrt nach wie vor die Menschen“, so Parka.
    Micha Schulze, queer.de, 30. Januar 2022

  • Die deutsche Talk-Ikone Bettina Böttinger spricht über ihren queeren Podcast „Wohnung 17“ auf WDR2, Erfolgsrezepte für ein gutes Gespräch, LGBTI-Themen im Mainstream und ihre Sehnsucht nach Freiheit.

    Aus ihrer Homosexualität machte sie nie ein Geheimnis, und in ihren Talkformaten hatte sie immer auch queere Menschen zu Gast. Doch die "Vorzeige-Lesbe vom Dienst im Fernsehen", die wollte Bettina Böttinger nie sein – aus Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden.

    Umso überraschender die Ankündigung im Frühjahr, dass die 65-Jährige mit "Böttinger. Wohnung 17" auf WDR2 einen eigenen queeren Podcast startet. Seit April empfängt sie jede Woche einen neuen Gast aus der LGBTI-Community in ihrem Apartment in der Kölner Innenstadt, unterstützt vom WDR und gut gebrieft von einer eigenen Redaktion – beispielhafte Voraussetzungen für queeren Journalismus, aber auch Arbeitsbedingungen, von denen queere Medien und auch QUEERKRAM-Macher Johannes Kram nur träumen können.

    Doch Neid spielt keine Rolle bei dem Gespräch zwischen Kram und Böttinger in Berlin, sondern der Respekt für die gegenseitige Arbeit und die Freude, dass queere Themen im sogenannten Mainstream angekommen sind. Was aber nicht heißt, dass es in der neuen, sehr lebendigen QUEERKRAM-Folge keinerlei Kontroversen gibt.

    "Vielleicht weil ich 65 geworden bin", meint Bettina Böttinger auf die Frage von Johannes Kram, warum sie sich auf ein rein queeres Format eingelassen hat. "Es ist an der Zeit, dass ich etwas mache, wo ich frei agiere." Sie verspüre zudem eine "gewisse Ungeduld", so die Talkmasterin, und verweist auf queerfeindliche Bewegungen von rechts. "Wo Einschränkung und Nicht-Akzeptanz drohen, ist es nötiger, Farbe zu bekennen."

    Die Sofa-Gespräche mit den queeren Gästen, die in ihrem Leben oft besonders standhaft und wehrhaft sein müssten, seien persönlicher und privater als in ihren Fernseh-Talkshows, erzählt Böttinger. "Das Aufblättern von queeren Lebensgeschichten finde ich wirklich berührend." Dabei versteht sich die Moderatorin durchaus als Volksaufklärerin: Als Publikum habe sie immer auch nicht-queere Menschen im Blick.

    Um Unterhaltung mit Haltung geht es in dem rund einstündigen Gespräch, um Talkshow als Geschäft, um Fragen, die man besser nicht fragt, um Mitleid mit Armin Laschet und um die Neugierde an den Gästen. "Es gibt kein Leben, das nicht irgendwie spannend ist", sagt Bettina Böttinger. "Ich will mich nicht langweilen, deshalb frage ich ungern Dinge, die ich schon weiß."

    Natürlich kommt auch der Harald-Schmidt-Eklat zur Sprache. 1995 fragte Schmidt in seiner Sendung, was Böttinger mit einer Ausgabe der "Emma", Eierlikör und einer Klobrille gemeinsam habe. Seine Antwort: Kein Mann fasse sie freiwillig an. Die Moderatorin ließ sich die unterirdische Beleidigung nicht gefallen, besuchte Schmidt trotz der ganzen Häme in dessen Show, um diese dann nach einem klaren Statement frühzeitig zu verlassen.

    Solch offene Homofeindlichkeit gebe es heute nur noch sehr selten, stellt Böttinger im Podcast zufrieden fest. Doch wie man auf gemäßigtere Attacken reagieren sollte, darin wird sie sich mit Kram nicht einig. Sie selbst möchte mit Begriffen wie "Homophobie" nicht um sich werfen, sagt die Moderatorin. "Wenn es sich innerhalb der Meinungsfreiheit bewegt, muss man das aushalten." Ihr Rat: "Ausflippen kann man zu Hause im Badezimmer." Erst wenn es strafrechtlich relevant werde, sei Widerstand angebracht.

    Das sieht Johannes Kram natürlich anders, der sich im Gespräch veranlasst sah, auf seine eigene Rolle in der Debatte zu verweisen: Denn diese hatte sich an der Polemik von Sandra Kegel gegen #ActOut entzündet, in der die FAZ-Redakteurin Diskriminierung leugnete und den beteiligten Schauspieler*innen vorwarf, sich nur wichtigmachen zu wollen.

  • Regisseurin Julia von Heinz und Drehbuchautorin Sabine Steyer-Violet sprechen über die bahnbrechende Serie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“, die am 27. Dezember zur Prime Time läuft.

    Eine „kleines queeres Wunder“ nennt Johannes Kram die aufwändige ARD-Produktion „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ - und das ist nicht übertrieben. Am Samstag, den 27. Dezember zeigt das Erste ab 20.15 Uhr alle sechs Folgen der queeren Kaufhaus-Saga, in deren Mittelpunkt ein lesbisches Paar steht: Hedi (Valerie Stoll), Verkäuferin in der Textilabteilung, und Fritzi (Lia von Blarer), die Tochter des KaDeWe-Besitzers, sind nicht nur schwer verliebt, sondern haben auch sehr lustvollen Sex miteinander. Bereits ab Montag um 5.30 Uhr laufen die Folgen in der ARD-Mediathek.

    Kurz vor der Ausstrahlung des queeren Binge-Watching-Events plaudern Julia von Heinz, die prominente (heterosexuelle) Regisseurin von „Eldorado KaDeWe“, und die lesbische Drehbuch-Koautorin Sabine Steyer-Violet Zeit im QUEERKRAM-Podcast von Johannes Kram aus dem Nähkästchen. „Ich habe schon die Sorge, dass Menschen ausschalten“, befürchtet von Heinz, deren Film „Und morgen die ganze Welt“ als deutscher Beitrag für den Oscar ins Rennen ging. Eine große TV-Programmbeilage habe im Vorfeld gar auf eine Ankündigung verzichtet, weil die Serie eine Zumutung sei.

    „Lesbische Liebe zur Prime Time zu erzählen, ist eine wahnsinnig tolle Chance“, sagt Sabine Steyer-Violet, die auch als Creative Producerin an der Netflix-Serie „Unorthodox“ mitwirkte. Allerdings sei für sie auch der Druck groß gewesen, jetzt besonders gut sein zu müssen. „Das ist eine große Female-Empowerment-Story, die wir da geschrieben haben“, ist sie mit dem Ergebnis zufrieden. Die Regisseurin selbst nimmt sich bei der Botschaft vom „Eldorado KaDeWe“ zurück. „Film soll unterhalten“, sagt Julia von Heinz. „Mich unterhält auf jeden Fall, wenn ich überrascht werde.“

    Im Podcast sprechen die beiden Frauen über die Entstehungsgeschichte der lesbischen Storyline, den Einfluss des Films „Carol“, die Reaktion des KaDeWe, den Diversity-Boom in der Film- und Fernsehbranche sowie die Auswirkungen von #ActOut. Es geht um Radikalität im Film und Triggerwarnungen, um Rosa von Praunheim als Ersatzvater, aber auch sehr offen um Dissonanzen beim Entwickeln der Serie. Während Sabine Steyer-Violet etwa Bauchschmerzen damit hat, dass sich ausgerechnet die selbstbewusste Fritz freiwillig einer Elektroschock-„Therapie“ unterzieht, um sich von ihrer Homosexualität zu „heilen“, war es Julia von Heinz wichtig, diese Folter zu zeigen.

    Beim Sex waren sie sich dagegen einig. Lesben im Film hielten immer nur zärtlich Händchen, meint Steyer-Violet, es sei wichtig, dass man endlich mal das „gesamte Spektrum“ zeigE. „Fritzi leckt Hedi“, stehe deshalb auch explizit im Drehbuch. „Sex ist superwichtig, um Beziehungen zu erzählen“, ergänzt Julia von Heinz, und sie habe nichts dagegen, wenn diese Szenen auch antörnen.

    „Auch heterosexuelle Männer?“, will Johannes Kram wissen. Sind homosexuelle Sexszenen zu Weihnachten im Ersten nur deshalb möglich, weil es sich um zwei Frauen handelt? Sowohl Kram als auch Sabine Steyer-Violet glauben nicht an schwulen Sex zur Prime Time. „Dann muss das die nächste Serie sein“, sagt Julia von Heinz.

    Micha Schulze auf queer.de, 18.12.2021

  • Im neuen QUEERKRAM-Podcast spricht Johannes Kram mit queer.de-Herausgeber Micha Schulze über den schwierigen Weg vom schwulen zum queeren Magazin, juristische Kämpfe mit Homo-Hasser*innen und seine Sorge vor rechten Protesten gegen die queerpolitischen Pläne der neuen Regierung.

    Normalerweise ist es Micha Schulze, einer der Gründer und bis heute Herausgeber von queer.de, der den Artikel zur neuen QUEERKRAM-Folge schreibt. Doch diesmal haben wir uns entschieden, es etwas anders zu machen. Denn da Micha selbst Gast der aktuellen Episode ist und es irgendwie merkwürdig wäre, wenn er hier über ein Gespräch schreiben würde, dessen Mittelpunkt er ist, bin ich diesmal nicht nur der Podcast-Host, sondern auch derjenige, der hier darüber berichtet.

    Eigentlich wollte ich Micha schon sehr viel früher im Podcast haben, doch er fand, dass es komisch wirken würde, wenn queer.de Thema in einem Podcast wäre, der von queer.de präsentiert wird. Jetzt, nach über 25 Folgen mit wichtigen Protagonist*innen und Themen aus der queeren Community, konnte ich ihn überzeugen, dabei zu sein. Denn mittlerweile ist es andersherum: Es wäre komisch, wenn wir nicht endlich auch mal über queer.de sprechen würden.

    Zumal queer.de nicht nur die größte und wichtigste deutschsprachige queere Nachrichtenseite ist, sondern auch noch eine, über deren Macher*innen und Innenleben man wenig weiß. Und das, obwohl das Medium in den letzten Jahren selbst oft Medienthema war. Etwa durch die Klagen und einstweilige Verfügungen von Homohasser*innen, die nicht wollen, dass man sie Homohasser*innen nennt. Etwa durch den Tagesschausprecher Jens Riewa, mit dem sich queer.de vor Gericht darüber streiten muss, was privat ist. Und zuletzt bei der sogenannten Debatte um die sogenannte Identitätspolitik.

    Doch der Reihe nach: Micha nutzt unser Podcast-Gespräch ganz am Anfang für eine frohe Botschaft: Während sich die queer.de-Leute im Jahr 2019 noch gegen 13 Abmahnungen wehren mussten, habe es in diesem Jahr keine einzige juristische Intervention gegeben. Micha führt das darauf zurück, dass man sich konsequent gewehrt habe. Es habe sich im christlichen-fundamentalistischen und rechtsnationalen Milieu offensichtlich rumgesprochen, "dass wir Sachen nicht einfach hinnehmen, dass wir nicht gleich eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, dass wir Sachen auch notfalls ausfechten".

    Zur Causa Jens Riewa schätzt Micha, dass diese die Gerichte wohl noch ein paar Jahre beschäftigen werde. Aber auch hier sei es wichtig dranzubleiben. Ganz egal, ob der "Tagesschau"-Sprecher nun schwul sei oder nicht ("das ist uns schnurz") gehe es darum, dass Homosexualität ebenso wenig "Privatsache" sei wie Heterosexualität.

    Unser Gespräch fand kurz vor dem Ende der Koalitionsverhandlungen der neuen Ampel-Regierung statt, die Ergebnisse standen noch nicht fest, auch wenn der queerpolitische Aufbruch auch schon vorher erwartet wurde. Es ist eine für queere Journalist*innen spannende Zeit, doch Micha warnt vor zu viel Optimismus: Es werde einen riesigen Widerstand gegen die Vorhaben von rechts und rechtsaußen geben, vor allem gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz erwartet er eine große Mobilisierung. Er ist sich sicher: "Das wird hart!"

    Wir sprechen über die queerpolitischen Themen des Jahres und wie er und seine Redaktion sie erlebt haben. Unter anderem über die Kampagne #ActOut, die eine "kleine Revolution" ausgelöst habe, die sich auch im Redaktionsalltag bemerkbar mache, weil es mittlerweile mehr queere Rollen gäbe, als man journalistisch zum Thema machen könne. Die Debatte um "Identitätspolitik", die von Wolfgang Thierse angestoßen wurde, sei für sie die schwierigste und herausforderndste gewesen, auch weil dieser Begriff von manchen genutzt werde, um Queerfeindlichkeit zu vertuschen. Und im Endeffekt hätten sie sich eingestehen müssen, diese Debatte verloren zu haben: "Wir haben argumentativ versucht, gegenzuhalten, wir haben sachlich versucht, gegenzuhalten, wir hatten keine Chance."

  • Bestseller-Autor Daniel Schreiber spricht über sein neues Buch "Allein", Sucht in der LGBTI-Community, sexuelle und emotionale Anorexie und warum Alice Weidel zur Rechenschaft gezogen werden muss.
    Sein Essayband "Allein" steht auf Platz elf der "Spiegel"-Bestsellerliste, die Tendenz geht nach oben. Mit seinem bislang queersten Buch, erschienen Ende September bei Hanser Berlin, erreicht Daniel Schreiber ein Publikum weit über die LGBTI-Community hinaus. Es geht um das "Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Rückzug und Freiheit und dem nach Nähe, Liebe und Gemeinschaft", heißt es in der Verlagsankündigung. Vor allem geht es um das sogenannte Alleinsein, das Leben ohne feste Partnerschaft.

    Obwohl er die Promo-Phase nach Erscheinen des Buches ziemlich anstrengend findet und er nach eigener Aussage sogar Angst hat, etwas Falsches zu sagen, hat sich Schreiber Zeit für einen Besuch im QUEERKRAM-Studio von Johannes Kram genommen. Und das war auch gut so: Die 26. Podcast-Folge bietet eines der intensivsten und spannendsten Gespräche, einen sehr persönlichen Blick auf Themen, die für queere Meschen existentiell sind.

    "Ich schreibe nicht über mich, sondern über blinde Flecken in der Gesellschaft", sagt Daniel Schreiber. In seinem Essay "Nüchtern" (2014) beschäftigte sich der 1977 geborene Berliner Autor mit dem Thema Sucht, im Nachfolger "Zuhause" (2017) schrieb er über seine Misshandlung als queerer Junge in der DDR.

    Ein zentrales Thema in "Allein" ist nun die tief verinnerlichte "queere Scham", die das Aufwachsen in einer homo- und transfeindlichen Gesellschaft mit sich bringe und oft nicht erkannt werde. "Es ist schwerer, mit schwulen Männern über queere Scham zu reden als mit Heteros", sagt Schreiber im Podcast. Die Abwehrmechanismen seien groß.

    Doch die Erfahrung von Ausgrenzung und die dadurch hervorgerufenen Gefühle gehörten zur eigenen Person, stellt er klar. "Es ist eine Frage von Selbstakzeptanz, dass wir alle guten und schlechten Seiten, die man hat, hinzunehmen lernen und versuchen, damit umzugehen."

    Sind diese Fragen nicht zu queer für ein Hetero-Publikum, will Johannes Kram wissen. Und ob der Verlag bei diesem Kapitel eingegriffen habe. Nein, sagt Daniel Schreiber. Nur Authentizität schaffe Erkenntnisgewinn. "Ich glaube nicht, dass man mehr Bücher verkauft, wenn man sich verstellt."

    In dem intellektuell brillanten Podcast geht es außerdem um sexuelle und emotionale Anorexie und in diesem Zusammenhang um den Zwang, als Schwuler in einer Beziehung zu sein oder mit vielen Männern zu schlafen. Außerdem um die Notwendigkeit, sich von unrealistischen Träumen zu verabschieden, um sogenannte Identitätspolitik und rechtsextreme "Kommunikationsfallen", in die auch linkliberale Menschen hineinstolperten.

    Ohne ihren Namen zu erwähnen, fordert Schreiber dazu auf, AfD-Chefin Alice Weidel zur Rechenschaft zu ziehen. "Ich habe überhaupt kein Verständnis für diesen Zynismus und diese Heuchelei, privat die Vielfalt dieser Gesellschaft, die Demokratie dieser Gesellschaft, die Menschenrechte dieser Gesellschaft zu genießen und davon zu profitieren und öffentlich alles dafür zu tun, all diese Sachen zu zerstören."

    Trotz viel schwerer Kost gibt sich der Mittvierziger im Podcast aber auch hoffnungsvoll: "Eine ganz zentrale Erfahrung meines queeren Lebens ist, dass Dinge wirklich besser geworden sind."
    --
    Micha Schulze, queer.de 11.10.2021

  • Die Regisseurin und Drehbuchautorin Kerstin Polte spricht über die zunehmende queere Sichtbarkeit in Film und TV, warum sie Corinna Harfouch eine Lesbe spielen lässt und wie sie dem ZDF eine Serie mit nichtbinärer Hauptfigur abgetrotzt hat.
    Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland galt lange als extrem heteronormativ und besonders verschnarcht, doch in letzter Zeit scheint es auf den queeren Geschmack gekommen zu sein. Bereits im Mai war in der ARD-Mediathek die schwule Serie "All You Need" zu sehen, gefolgt Ende Juni von der lesbischen ZDF-Produktion "Loving Her". Ab dem 31. August wird auf ZDFneo die Sitcom "The Drag and Us" gezeigt. Aktuell dreht Julia von Heinz zudem für die ARD unter dem Arbeitstitel "Eldorado KaDeWe" eine Serie über das Berliner Kaufhaus, bei der ein lesbisches Paar im Mittelpunkt steht.

    Dass sich endlich etwas ändert, auch in den eingefahrenen Strukturen, das liegt natürlich an der starken Konkurrenz von Netflix und Co. Aber auch an einzelnen Personen, die von den Sendern mehr Diversität einfordern und dabei nicht lockerlassen. Eine von ihnen ist die Berliner Regisseurin und Drehbuchautorin Kerstin Polte, die Johannes Kram in seinem neuen QUEERKRAM-Podcast zu Gast hat.

    Die Folge könnte aktueller nicht sein: Am Donnerstag, den 26. August um 20.15 Uhr zeigt das ZDF Poltes Spielfilm "Immer der Nase nach", in dem wir Corinna Harfouch in einer lesbischen Rolle erleben dürfen. Auch bei der Serie "Wir" über zwei Frauen, die nach zwölf Jahren Trennung wieder zueinanderfinden und die ab 17. September in der ZDF-Mediathek läuft, gehört das 46-jährige Gründungsmitglied der Queer Media Society zum Regieteam.

    Bereits in Poltes erstem langen Kinospielfilm "Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?" (2018) gab es eine lesbische Nebenstory: Meret Becker verliebt sich als Tochter einer dementen Mutter in eine Truckerin. In ihren Filmen wolle sie queere Figuren in ihrer Selbstverständlichkeit zeigen, nicht als Coming-out-Problem, stellt Kerstin Polte im Podcast klar. "Ich finde diese Erzählung anhand von andersartigen Konflikten todlangweilig. Ich nehme gerne Themen, die uns alle betreffen." In Bezug auf "Immer der Nase nach" berichtet sie detailliert, wie sie das ursprüngliche Drehbuch von Klischees befreit und mit feministischen Korrekturen den "ZDF-Sendeplatz gesprengt" habe.

    "Wo wir wirklich was reißen können, ist für die breite Masse zu erzählen", sagt Kerstin Polte. Und kündigt im Gespräch mit Johannes Kram sogleich die erste ZDF-Serie mit einer nichtbinären Hauptfigur an: Die Dreharbeiten für "Charlie" sollen Ende des Jahres beginnen. Im Mittelpunkt, so die Co-Regisseurin, stehe eine Person aus dem "Plattenbaumilieu", die bei ihren queeren Tanten unterkomme. "Scheiß auf diese ganzen binären Quatschsysteme", sagt Polte. "Lass uns anfangen, Menschen in allen Farben, Formen und Ecken zu erzählen."

    Im Podcast erklärt die lesbische Filmemacherin außerdem, warum es "längst überfällig" sei, Goethe, Kleist und Büchner umzuschreiben, und dass die Diversity auch bei den vermeintlichen modernen Streamingdiensten ihre Grenzen hat. Sehr wenig hält sie von den neuen Amazon-Richtlinien, nach denen nur noch Schauspieler*innen engagiert werden sollen, "deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt". Awareness zu schaffen, sei nicht verkehrt, so Polte, doch Schauspielkunst bestehe aus mehr als der eigenen Biografie. "Es geht nicht darum zu spielen, wer man ist, sondern zu zeigen, was will eine Figur."

    -- Micha Schulze auf queer.de, 21. August 2021

  • TV-Moderator und Schauspieler Jochen Schropp spricht über Queerfeindlichkeit im Reality-TV, warum Reden über Sex guttut und was die Community für ihn bedeutet.
    Wer immer noch Angst hat, dass ein öffentliches Coming-out zwangsläufig eine Karriere im Showbiz verhindert, schaut am besten auf Jochen Schropp. Vor drei Jahren sprach der heute 42-Jährige mit dem "stern" erstmals über seine Homosexualität – heute ist er eines der bekanntesten Gesichter im deutschen Fernsehen. Beim Zappen auf Sat.1 kann man ihm kaum entkommen. Schropp moderiert u.a. "Promi Big Brother", "United Voices" und "Die Festspiele der Reality-Stars" sowie als Vertretung auch im Frühstücksfernsehen.

    Bevor im August zum neunten Mal mehr oder weniger bekannte Selbstdarsteller*innen in den TV-Container ziehen, fand Schropp Zeit für einen Besuch im QUEERKRAM-Studio von Johannes Kram – und wird gleich zu Beginn mit inszenierter Queerfeindlichkeit bei seinem Haussender konfrontiert. Wir erinnern uns: Im Frühjahr sendete Sat.1 erst die homofeindlichen Tiraden des Prinzen Marcus von Anhalt bei "Promis unter Palmen", erst nach heftiger Kritik verschwanden die Episoden nach und nach aus der Mediathek. Am Ende wurde das gesamte Format vom Sender beerdigt.

    "Bei 'Promis unter Palmen' hätte mehr durchgegriffen werden müssen", sagt Jochen Schropp im Podcast – und geht recht deutlich mit den deutschen Privatsendern ins Gericht. Queere Menschen seien in Realityformaten "oft vorgeführt worden, gerade transidente Menschen", kritisiert er. Erst in den letzten Jahren sei es besser geworden. "Es musste zigmal knallen, damit sich was verändert hat." Er selbst werde keine Queerfeindlichkeit bei "Promi Big Brother" dulden, kündigt er an. "Ich bin ein Mensch mit Haltung und ich will gewisse Sachen im Fernsehen nicht sehen."

    Jochen Schropp, der Unterhalter, ist angespannt in dieser Phase des Podcasts, und er spricht sein Unwohlsein auch an, erklärt dies mit der für ihn schwierigen Talksituation: noch ungefrühstückt morgens eine Stunde bei solchen Themen im Stehen Rede und Antwort geben zu sollen. Johannes Kram, der Publizist, ist zunächst perplex, schließlich hat er nicht einmal kritisch nachgebohrt. Schropp will, das sagt er später im Podcast, Veränderungen durch freundliches Überzeugen erreichen, will keinesfalls aggressiv rüberkommen. "Man darf nicht davon ausgehen, dass Leute alles wissen müssen. Man muss sie manchmal an die Hand nehmen."

    Die queere Community bedeutet dem Moderator sehr viel: "Ich finde dieses Zusammengehörigkeitsgefühl super", erzählt Schropp. "Je älter ich werde, desto wichtiger wird das für mich." Während er vor seinem öffentlichen Coming-out noch Angst gehabt habe, "nur noch als schwuler Mann wahrgenommen" zu werden, spricht er nun ganz bewusst in zwei eigenen Podcasts über queere Themen. An der Seite der lesbischen Journalistin Felicia Mutterer ist er in "Yvonne & Berner" zu hören, mit "Prince Charming"-Sieger Lars Tönsfeuerborn bietet er "Knall & Tüte" im bezahlpflichtigen Portal Podimo an. "Ich will zur Community beitragen, und ich lerne auch viel hinzu." Nun fühlt er sich auch wohl im Studio.

    Jochen Schropp ist erfrischend ehrlich, aber nicht naiv. Mit Johannes Kram spricht er auch über seinen Frust mit der Community und welche Schlagzeile einer Szenewebsite ihn wirklich geärgert hat. Beim Kölner Schraubenzieher-Vorfall geht es um die ständige Alarmbereitschaft, in die sich queere Menschen ganz unbewusst versetzen. Schropp erklärt, warum es ihm guttut, öffentlich über Sex zu reden. Und wir hören sein indirektes Angebot, noch einmal – wie von 2012 bis 2016 – den Berliner Teddy Award zu moderieren.

    Am Ende fragt Johannes Kram stets seine Gäste, welche anderen Gesprächspartner*innen sie am liebsten einmal kennenlernen würden. Schropp schlägt jemanden vor, der noch gar nicht da war: Hape Kerkeling. "Ich würde ihn gerne mal zu diesem Thema sprechen hören", begründet er seinen Wunsch.
    Dem kann ich mich nur anschließen.
    -- Micha Schulze, queer.de, 18. 7.2021