Episoder
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Hugo Balls »Karawane« ist eines der bekanntesten Lautgedichte des Dadaismus. Seine rätselhaften Worte – jolifanto bambla ô falli bambla – sind mit Absicht unverständlich. Sie rücken den Klang der Worte ins Zentrum. Der Cyberdadaist Samuel Eberenz macht sich den Spass, diesem Text durch den »strategischen Einsatz von Online Tools der statistischen Maschinenübersetzung« so etwas wie eine Bedeutung abzuringen. Die Karawane wird dabei zum Leichenwagen. Verrückt? Ja, aber auch ein großer Spaß.
Samuel Eberenz: Karawane Leichenwagen, in: eXperimenta 11/2015, 32, https://experimenta.de/archiv/2015/experimenta-11_15_November_ES.pdf -
Wie ist Sexualität nach dem zweiten Weltkrieg zu denken, nachdem die jungen männlichen Körper der Deutschen hart und soldatisch zu sein hatten? –– Als sexuelle Idylle am Badesee, die sich in den 50er Jahren dem Vorwurf der Pornographie aussetzte? Über Sexualität und Gewalt, über Körperbilder nachdenkend, nehmen wir Klaus Theweleits wildes und aufregendes Buch, um uns damit Arno Schmidts ›Seelandschaft mit Pocahontas‹ zu nähern.
Arno Schmidt: Seelandschaft mit Pocahontas, in: Alfred Andersch (Hg.): Texte und Zeichen 1,1 (1955), S. 9–53.
Klaus Theweleit: »you give me fever«. Arno Schmidt. Seelandschaft mit Pocahontas. Frankfurt a. M./Basel: Stroemfeld/Roter Stern.
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Nach einem längeren Unterbruch zeigen sich auch bei uns die Auswirkungen der Nach-Corona-Zeit: die freien Abende werden weniger, die Terminkalender voller, so dass dies die erste Folge ist, die nicht gänzlich in unseren Wohnzimmern entstanden ist. Umso mehr haben wir die gemeinsame Lektüre vermisst. Wir lesen ein Langgedicht von Durs Grünbein und reflektieren über den den Blick des Satirikers und den des Flaneurs, über die Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen der alten Metropolis Rom und der modernen Großstadt und ganz besonders über die Ästhetik des Hässlichen.
Durs Grünbein: Nach den Satiren. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999. -
„Ein wunderbarer Stoff“ – Roland Barthes beschreibt die Substanz der Substanzen, und wir, lavierend zwischen Aristoteles und dem 3D-Drucker, lassen uns von der mythischen Faszinationskraft des Plastik ebenso anstecken wie vom Signifikantenfieber seiner semiotischen Alltagsanalyse.
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Kann die faszinierende Vision einer fernen Endzeit, in der die Sonne als roter Riese die Welt in sich einschließt, Menschen zur Tat bewegen? Oder führt sie nur tiefer hinein in die Apathie? Diese hochphilosophischen Fragen werden in einem alkoholisierten Stammtischgespräch erörtert, das dem alternden und zunehmend erfolglosen Schriftsteller Georg Laub mehr und mehr zum bedeutungslosen Stimmengewirr wird, während er seinen eigenen kleinen Weltuntergang erlebt.
Wir finden diese großen Fragen fast genauso spannend wie die poetologischen Finessen des Textes und philosophieren angeregt.
Silvia Bovenschen: Wie geht es Georg Laub? Roman. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2011.
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Eis auf der Aare und die Schweiz im nicht enden wollenden Krieg. Krachts »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« berührt, wie wir schnell merken, einige empfindliche Punkte des helvetischen Selbstverständnisses. Entsprechend gross ist der Diskussionsstoff, und wir lassen uns von der literarischen Dystopie hinreissen zu allerlei Spekulationen über die Schweizer Psyche zwischen Kosmopolitismus und Réduit.
Christian Kracht: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Köln 2008.
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Schon zum zweiten Mal lesen wir »Metamorphosen«. Diesmal allerdings nicht jene von Ovid, sondern die von Apuleius. Auch unter dem Titel »Der goldene Esel« bekannt, schildert der einzige erhaltene lateinische Roman die Abenteuer des Protagonisten Lucius, der unabsichtlich in einen Esel verwandelt wurde. Bei der Lektüre der verhängnisvollen Verwandlungsszene entdecken wir die Qualitäten dieses Schelmenromans: seinen parodistischen Witz, aber auch sein starkes Plädoyer für die Rücksicht auf die Verletzlichkeit allen Lebens.
(Edit 25.5.2020: Zunächst war eine falsche Episode verlinkt; dies ist nun korrigiert) -
Natürlich vergessen wir über Pasolinis Namen und seinem schwer fassbaren Werk sofort die Triggerwarnung, die wir aussprechen wollten. Es geht in Petrolio um inkonsistente Körper und ihre (fehlenden) Glieder, um Sexualität und phantasmatische Geschlechter. Pasolinis ,modernes Satyricon‘ wirft bei aller mitunter pornographischen Erotik auch einen schonungslosen, fast anatomischen Blick auf soziale Codices und besticht nicht zuletzt mit unerwarteter romantischer Ironie.
Pier Paolo Pasolini: Petrolio. Roman. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Berlin: Wagenbach 2015.
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Von Uhrwerken, Schöpfern und Steckenpferden. Wir gönnen uns aufs Wochenende einige Blicke in Sternes unvergleichlichen Tristram Shandy.
Laurence Sterne: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Aus dem Englischen von Michael Walter. Berlin: Galiani 2018.
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Der Kosmos als therapeutisches Spielzeug für schwierige Kinder?
Pierre Griparis Erzählung vom kleinen Jehova präsentiert ein ebenso unerhörtes wie erheiterndes Weltbild, und lässt uns in metaphysische Abschweifungen geraten.Pierre Gripari: Der kleine Jehova. In: Weltrevolution der Seele, hg. von Peter Sloterdijk und Thomas H. Macho. Zürich: Artemis und Winkler 1995, 386–415.
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J.L. Borges gibt uns ein kleines und ein paar grössere Rätsel auf. Es geht um alles und nichts, ums Träumen und die Frage, wie viele man sein kann.
Jorge Luis Borges: Everything and Nothing. In: Borges und Ich. Prosa und Gedichte [El hacedor]. Aus dem Spanischen von Karl August Horst. München 1963.
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Pferdemarkt in einem Land, wo, wer es sich leisten kann, sich Drogennägel in den Kopf schlagen lässt. Vladimir Sorokrins Zukunftsvision Telluria bereitet ein bisschen Kopfzerbrechen, aber eben so viel Freude, und entfaltet, wie wir finden, gerade in der jetzigen Situation eine neue Bedeutsamkeit.
Vladimir Sorokin: Telluria. Aus dem Russischen von Kollektiv Hammer und Nagel. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2015, 218–222.
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Mit Hermann Burger lassen wir uns heimsuchen vom Mann, der nur aus Wörtern besteht. Die Sprache als Gespenst – wie sieht sie aus? Soll, muss, kann man ihr widerstehen? Vom Lesen in Wörterbüchern und Schreiben auf Schreibmaschinen.
Hermann Burger: Der Mann der nur aus Wörtern besteht. In: HB. Ein Mann aus Wörtern. Frankfurt a. M. 1983, 239–241.
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Zwischen Begeisterung und Skepsis schwankend, mäandern wir in Ovids Labyrinth, staunen über eine fliegende Corona und kommen schliesslich der Sonne (zu) nah.Ovid: Metamorphosen. Aus dem Lateinischen übersetzt von Niklas Holzberg. Tusculum 2017.
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Wie aus den einfachsten Regeln komplexe Figuren entstehen, die wieder andere Gebilde hervorbringen, und immer so fort, das entdecken wir gemeinsam in John H. Conway’s verführerisch benanntem Game of Life.
Für einmal geht es nicht um einen literarischen Text, sondern um ein faszinierendes mathematisches Spiel, dem eine betörende Schönheit innewohnt. Aufblinkende und wieder verschwindende Punkte in einer Kästchenwelt, mehr ist da nicht. Und doch gibt der Geist diesen Mustern Bedeutung und verlangt nach Namen. Wir fragen uns: Wie kommt dieser Sinn zustande? Ist das nicht auch eine Art Lesen?
Wir nähern uns diesen Fragen und dem ›Spiel des Lebens‹ mit zwei kurzen Artikeln. Ein anonymer Text aus dem SPIEGEL von 1974 entführt sein Publikum sprachmächtig (und manchmal unfreiwillig komisch) in die fremden Welten der Elektronengehirne. Und dank Nachruf von Clemens Setz aus der ZEIT vom 14. April 2020 entdecken wir in diesem Spiel eine Allegorie auf unsere heutige Zeit.
Der Mensch zerfällt, doch ein Gleiter entschwebt.
John H. Conway, der Entdecker des Game of Life und der surrealen Zahlen, ist am 11. April 2020 im Alter von 82 Jahren an Covid-19 gestorben.Mitlesen
XKCD: RIP John Conway: https://xkcd.com/2293/ (CC BY-NC 2.5)Ehe mit Hausfreund. In: DER SPIEGEL, Nr. 15/1974,
https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/41751346.Clemens Setz: John Conway. Zu große Nähe, zu große Einsamkeit. In: Die Zeit, 14. April 2020, https://www.zeit.de/kultur/2020-04/john-conway-mathematiker-game-of-life-nachruf
Schauen und ausprobierenBetörendes Gewusel als einem Ahornblatt, mit hypnotischer Musik: https://www.youtube.com/watch?v=Aq51GfPmD54
Selbst ›Gott‹ spielen im Game of Life: https://bitstorm.org/gameoflife/
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Einem österlichen Impuls nachgebend, folgen wir einem berühmten weissen Hasen in seinen Bau. Auf dem langen Fall hinunter in Alices Wunderland sinnieren wir über die Logik des Traums, werden zwischenzeitlich selber ein bisschen schläfrig und fragen uns, was Kinderbücher sind.
Lewis Carroll: Alice in Wonderland (1865). Aus dem Englischen übersetzt von Antonie Zimmermann 1869.
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D’Arrigos Horcynus Orca bringt uns an einen schwarzen Strand voller Delfingebeine; ist es ein Friedhof oder eine Müllkippe? Wieder einmal geht es um die Macht der Sprache, ihre Übersetzbarkeit und ihre Unwiderstehlichkeit
Stefano D’Arrigo: Horcynus Orca. Aus dem Italienischen und mit einem Nachwort von Moshe Kahn. Herausgegeben von Egon Ammann. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2015, 176–180.
Buchvorstellung durch Denis Scheck bei Druckfrisch:
https://www.youtube.com/watch?v=8ghqza8eyMI&t=1m8s
Buch im Labyrinth bestellen:
https://shop.buchhandlung-labyrinth.ch/catalogue/horcynus-orca_9765022/
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Wir lassen uns von Ann Cottens Auserirdischer Intelligenz überfordern: Wie muss man sich eine Sprache vorstellen, die aus lauter Wortspielen besteht? Und sind wir Menschen von Beginn an kolonisiert von einer fremden Daseinsform - oder geht es in diesem befremdlichen Text um gar nicht so fremde Dinge?
Ann Cotten: Ishibashi. In: Lyophilia. Erzählungen. Berlin: Suhrkamp 2019, 7–8.
https://shop.buchhandlung-labyrinth.ch/catalogue/lyophilia_13318108/
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Ein berühmter gelehrsamer Kater rettet uns aus der quarantänebedingten Niedergeschlagenheit.
E.T.A.Hoffmann: Lebensansichten des Katers Murr. Berlin 1819/21.
https://www.zweitausendeins.de/e-t-a-hoffmann-lebensansichten-des-katers-murr.html
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Über fremde Städte nachzudenken, ist genau so verführerisch, wie es gefährlich sein kann. Gerade wenn diese Orte unerreichbar sind, wachsen sie in der Imagination zu ungeheuerlichen Phantasmen. Der Text unserer heutigen Folge stammt von Hadayatulla Hübsch und träumt von einer solchen Stadt mit verführerischem Namen: Tanger. Der Text nähert sich einer unnahbaren Stadt und deren Mythen über ihren Namen und weckt bei allen Verlockungen seines Textes auch Zweifel, ob man ihn wirklich betreten sollte.
Gedruckt auf blauem Papier, findet sich dieser Text in »tanger telegramm«, einer wunderbar bunten Anthologie von Florian Vetsch und Boris Kerenski. Sie ist allein dieser Stadt gewidmet, die unzählige Literatinnen* und Nonkonformisten* angezogen hat.
Hadayatullah Hübsch: Tanger – Danger (don’t enter) – Mind the step. In: tanger telegramm. Reise durch die Literarturen einer legendären marokkanischen Stadt. Hg. v. Florian Vetsch und Boris Kerenski. Zürich: bilgerverlag 2017, 86–91.
https://shop.buchhandlung-labyrinth.ch/catalogue/tanger-telegramm_9664635/
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