Episódios
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Vor fast sechs Jahren bin ich von Ehreshoven nach München gezogen, wo wir die Kommende junger Malteser gegründet haben. Ich habe mir dort bald einen neuen Beichtvater gesucht. Mit dem alten Jesuiten sprach ich anfangs oft über den Wechsel von einer klar beschriebenen in eine ungewisse Aufgabe. Dann sagte er jedesmal: „Säen Sie! Säen Sie! Und dann schauen Sie, wo was wächst. Und da bleiben Sie dran.“
Daran musste ich auch an diesem Wochenende denken. Denn die Generalversammlung einer Gemeinschaft ist eine Gelegenheit zum Rückblick und Dank, Zeit für Planungen und Entscheidungen, für Ausblicke und Ermutigungen.
Gestern haben wir 18 neue Mitglieder aufgenommen. Wir haben unseren Präsidenten gebührend verabschiedet und einen neuen Präsidenten gewählt. Und heute feiern wir das Versprechen von 12 Damen und Herren, in einer größeren Verbindlichkeit ihrer Berufung im Malteserorden zu folgen.
1. Machen und Fruchtbringen
Nun gibt es verschiedene Perspektiven, auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schauen. Zwei will ich nennen: die des Machens und Vollbringens und die des Säens und Fruchtbringens. Beide Perspektiven sind wichtig, sie ergänzen und erklären einander. Eine macht ohne die andere keinen Sinn.
Die eine Sichtweise besteht darin, dankbar zu sehen, was wir mit Gottes Hilfe verwirklicht, aufgebaut und umgesetzt haben. Wir schauen darauf, wie wir so bis zu diesem Tag gekommen sind: an die Schwelle zum Malteserorden, an das Ende oder an den Anfang einer Präsidentschaft, zu der Entscheidung, uns im Hören enger an den Orden und seine Sendung zu binden. Und wir fragen danach, was als nächstes zu tun sei.
Eine zweite Betrachtungsweise legen uns die Texte des heutigen Sonntags nahe. Sie fragen danach, wie und was wir gesät haben, welche Bedingungen wir für das Keimen und Wachsen geschaffen haben und welche Früchte daraus bereits entstanden oder in Zukunft noch zu erwarten sind.
Die erste Perspektive fragt nach der Machbarkeit, die zweite nach der Fruchtbarkeit; die erste fragt nach dem Umsatz, die zweite nach dem Einsatz; die erste fragt nach der Bilanz, die zweite nach der Ernte.
Die Fortsetzung erfolgt in Kürze auf
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Wenn ich erschöpft bin, kann das sehr unterschiedliche Gründe haben. Sehr vereinfacht gesagt, zum Beispiel die vier folgenden: Entweder ich mache das Falsche. Oder ich mache das Richtige, aber ich mache es falsch. Oder ich mache das Richtige richtig, aber zu viel davon. Oder ich mache das Richtige richtig und im rechten Maß, aber sorge nicht für die weiteren Bedingungen, um halbwegs im Lot zu bleiben.
Die christliche Spiritualität hält viele Hilfen bereit, um diese vier Fragen (Was? Wie? Wie viel? Was noch?) angemessen zu beantworten: die Weisheit der Bibel und der Überlieferung, die Kunst der Unterscheidung und Entscheidung, eine Gemeinschaft, heilswirksame Zeichen und ein Leben aus dem Gebet.
Aber der christliche Glaube ist kein Selbstoptimierungsprogramm. Auch wenn es manchmal so klingt. Zum Beispiel, wenn Paulus der Gemeinde in Korinth schreibt „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.“ Nur nicht müde werden. Das ist was für Selbstoptimierer.
Aber im Glauben der Christen geht es nicht um Selbstoptimierung, sondern um Erlösung. Um die Erlösung des Menschen von der versklavenden Entfremdung von seinem göttlichen Ursprung, von der Verstrickung in Schuld und allen ihren lebensfeindlichen Folgen. Und das, indem wir Anteil am Leben Gottes bekommen: Gott nimmt als Mensch teil an unserem menschlichen Leben, damit wir Menschen schon auf Erden am göttlichen Leben teilnehmen.
Für Paulus besteht diese Teilnahme am göttlichen Leben in der Nachfolge Christi. Er lebt und arbeitet, denkt und redet aus der Verbundenheit mit Jesus Christus. Er baut Gemeinden auf und erzählt von ihm. Er führt Streitgespräche und nimmt Missverständnisse, Beleidigungen, Anfeindungen und Verfolgung in Kauf. Er wird bedrängt und bangt, wird verfolgt und unterdrückt – und er spürt, dass er so am Leiden und Sterben Christi teilnimmt.
Aber unser Eifer im Dienst erlahmt nicht; wir werden nicht müde, schreibt Paulus (2 Kor 4,1.16). Obwohl er die Grenzen seiner natürlichen Kräfte und seine Schwachheit sehr gut kannte. Es geht hier nicht um Erholung, sondern darum, woher und woraufhin er lebt.
„Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert.“ Die Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen übernimmt Paulus aus der griechischen Philosophie. Die hatte die Tendenz, den Menschen dualistisch aufzuteilen: in sein inneres, unsichtbares, ewiges Wesen und seine äußere, sichtbare und vergängliche Hülle.
Für Paulus jedoch ist der Mensch eine Einheit verschiedener Dimensionen: Leib und Seele, außen und innen, sichtbar und unsichtbar, vergänglich und ewig. Gott nimmt in Jesus den ganzen Menschen an.
Und nun beschreibt Paulus eine gegenläufige Entwicklung: Der äußere Mensch wird aufgerieben. Durch Arbeit und Einsatz, Kampf und Mühe. Der innere Mensch dagegen wird von Tag zu Tag erneuert, wächst in der Verbundenheit mit Gott, im Geführtwerden vom Heiligen Geist, in der Freundschaft mit Christus und der Weite und Weisheit seines Herzens.
Ich habe das bei Menschen erlebt. Zum Beispiel bei einem Priester, dessen Freund ich seine letzten zehn Jahre sein durfte, bevor er fast hundertjährig starb. Während sein Radius, seine Beweglichkeit und sein Gehör abnahmen, wurde er innerlich immer weiser und weiter, kindlicher und neugieriger – über seinen absehbaren Tod hinaus.
Paulus macht nicht die gegenwärtige Not kleiner. Aber er ahnt, dass sie eingeholt, überstrahlt und erlöst wird von jenem Unvorstellbaren, das von Gott kommt, das in unserem Inneren bereits begonnen hat und das er „Herrlichkeit“ nennt.
Ich möchte lernen, das Richtige richtig und im rechten Maß zu tun und aus den Quellen zu leben, die mir der Glauben erschließt. Und ich möchte ein innerlicher und betender Mensch werden, der mutig gestaltet und liebt.
Und wenn ich die Herrlichkeit ahne, werde ich auch meine unvermeidliche Erschöpfung und meine Vergänglichkeit zu nehmen wissen.
Fra’ Georg Lengerke
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Estão a faltar episódios?
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„Lass Dir was einfallen“, sagte mir ein Freund neulich. Das klang nicht wie der unfreundliche Hinweis eines Vorgesetzten, wenn ein Mitarbeiter vor einem kaum lösbaren Problem steht: „Dann lassen Sie sich was einfallen!“ Er meinte vielmehr, ich sollte mir die Zeit geben, die es braucht, mich von dem erreichen zu lassen, was ich aus mir nicht erreichen kann, und mich von dem finden zu lassen, was ich aus mir nicht finden kann.
Solche Zeiten brauchen wir. Täglich, wöchentlich, jährlich. Und unter den Anforderungen und Erwartungen, den Ablenkungen und Inanspruchnahmen unserer Zeit wird es immer schwerer, sie zu finden – oder eher noch: sich für sie zu entscheiden.
Es gibt eine Zeit, die dafür seit Urzeiten vorgesehen ist. Das ist der Sonntag. Ursprünglich steht der in der Tradition des Sabbats, des siebten Tages der Schöpfungswoche. Am sechsten Tag war die Schöpfung vollendet und von Gott für „sehr gut“ befunden. Doch auch der folgende Tag der Ruhe gehört zur Schöpfung dazu. Ohne das Ausruhen ist das Werk unvollständig – selbst wenn es sehr gut hergestellt ist. Es braucht eine Zeit, in der Gott die Dinge „gut sein lässt“, damit sie es wirklich sind.
An diesem siebten Tag soll der Mensch wie Gott und mit Gott ruhen. Und er soll Ruhe geben. Auch den anderen. Selbst dem Sklaven und der Sklavin. Zur Sabbatruhe gehört der Serviceverzicht und die Erinnerung an die eigene Sklaverei, an die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten und alles, was ihm heute ähnlich ist.
Für die Christen war das vor allem die Sklaverei durch (eigene und fremde) Schuld, die das Leben zerstört. Deshalb haben die Christen den Ruhetag einen Tag später gefeiert, am achten der alten, am ersten der neuen Woche.
Am achten, weil die gefallene Schöpfung nicht durch die Ruhe Gottes, sondern durch die Auferstehung Jesu Christi vollendet wird.
Am ersten, weil der Tag der Auferstehung der erste Tag der neuen Schöpfung ist, die mit der Erlösung aus der Verstrickung von Sünde und Tod beginnt.
Den Sonntag zu halten ist leichter, wo der Sonntag eine gesamtgesellschaftliche heilige Selbstverständlichkeit ohne gegenteilige Erwartungen ist. Dafür besteht dann eher die Gefahr, dass eine Fixierung auf die Gebotserfüllung zu Lieblosigkeiten und Verengungen führt, die dem Sinn des Sonntags widersprechen.
Auch ich muss jedoch um die rechte Sonntagsgestaltung immer wieder ringen. Weil der Arbeitsdruck hoch ist, oder weil am Wochenende Veranstaltungen und Rückreisen anstehen. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil wir Kirchenleute (wie andere Menschen im Dienst am Nächsten) schnell dabei sind, unsere Arbeit für heilsrelevant oder zumindest für menschenfreundlich und deshalb für sonntagskompatibel zu halten.
Mir fällt am schwersten, was zugleich am wichtigsten ist: anzunehmen, dass es heilige Zeiten gibt, die unverfügbar sind und nicht verzweckt werden dürfen. Der Sonntag ist Beziehungszeit. Und zwar für jene Beziehung, die im Alltag als erstes hinter allen anderen zu verschwinden droht.
Der Sonntag ist dazu da, dass die Christen auf Christus schauen und, dabei wie Paulus schreibt, den „göttlichen Glanz auf dem Antlitz Christi“ erkennen (2 Kor 4,6). Das heißt erstens, dass sie in ihm Gott erkennen und zweitens, dass im Schauen auf Christus der göttliche Glanz auch auf ihr Antlitz und das ihrer Nächsten fällt. Wer auf Christus schaut, darf und soll sich auch gefallen lassen, von Christus angeschaut zu werden. Dieses Schauen und Angeschautwerden, sagt Paulus, erinnert uns daran, „dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“
Ich denke an den Rat des Freundes, Bedingungen zu schaffen, mir etwas einfallen zu lassen. Dazu gehört auch die Erfahrung der Natur, das neue Sehen und Hören von Freunden und Verwandten, die Offenheit für Ungewohntes, die Beschäftigung mit Ungeschäftlichem, die Beschenkbarkeit mit Unverdientem.
Heute ist Sonntag. Ich lasse mir was einfallen. Davon erzähle ich dann, wenn mich jemand fragt, was mir eigentlich einfällt.
Fra’ Georg Lengerke
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Eine der Rollen, die für mich als Kind bestimmend waren, war die des Erben. Ich bin das älteste von vier Geschwistern. Und um Streit, Konkurrenz und ein Wetteifern um die väterliche Gunst zu vermeiden, hatten unsere Eltern entschieden, es solle mit dem Erben nach der Reihenfolge der Geburt gehen. Wenn der Älteste nicht will oder kann, kommt der nächste an die Reihe. Ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Erbe zu sein.
Es ging dabei nicht um ein großes Vermögen, sondern um einen kleinen Landbesitz, der nicht aufgeteilt werden konnte. Er trug sich selbst. Wer erbte, musste einem Broterwerb auswärts nachgehen.
Wer erbt, übernimmt das Vermögen, das Lebenswerk oder den Nachlass eines anderen. Oft ist das Ausdruck seines Vertrauens, seines Wohlwollens und seiner Wertschätzung. Ich war nicht ungerne Erbe.
Allerdings gehen mit jeder Erbschaft auch Erwartungen einher. Manche erben ja nicht nur die Güter, sondern auch die Aufgaben und Rollen, ja gewissermaßen das Leben eines anderen. Und die fragen sich früher oder später, was denn eigentlich aus ihrem eigenen Leben geworden ist, das sie ohne dieses Erbe hätten leben können.
Und schließlich kann eine Erbschaft zu schrecklichen Verwerfungen führen. Wie viele Geschwister entzweien sich und wie viele Familien zerbrechen im Streit um ein Erbe?
Im Brief an die Römer bezeichnet Paulus das Verhältnis der Christen zu Gott als „Kinder“ und „Erben“. Damit meint er nicht nur, dass wir von Gott geschaffen und gewollt sind. In diesem Sinn ist jeder Mensch Sohn oder Tochter Gottes.
Paulus grenzt die Kindschaft von der Knechtschaft ab, die bloß Hervorbringung und Abhängigkeit und von Furcht geprägt ist. Er meint eine „Kindschaft“, um die die Kinder wissen, die sie bejahen und die ihr Leben ausmacht. Eine Beziehung, die mit Vertrauen, Bevollmächtigung und einer Erbschaft einhergeht.
Von diesem Erbe-Sein hören wir am Dreifaltigkeitssonntag. Gott offenbart sich als ein Gott in drei Personen, als ein „Was“ und drei „Wer“. Gott ist in sich bereits Beziehung und Liebe, sagt die Schrift. Und zur vollkommenen Liebe gehören immer drei: einer, der liebt, einer der geliebt wird und wiederliebt, und einer, der mitliebt, damit keiner den anderen alleine lieben muss.
Dieser dreifaltige Gott offenbart seine Liebe dem Menschen. Er nimmt zu uns Beziehung auf. Aber in dieser Beziehung ist Gott nicht einfach nur unser Gegenüber. Vielmehr will er uns in die Beziehung der Liebe von Vater, Sohn und Heiligem Geist einbeziehen.
Es gibt unendlich viele Weisen, diese Einbeziehung zu beschreiben. Paulus tut das hier folgenermaßen: Alles, was wir sind und haben, kommt vom Vater und geht zum Vater, der der Ursprung, der Schöpfer und das Ziel von allem ist. Das offenbart der Heilige Geist unserem Geist. Er betet mit uns und in uns und lässt uns zum unsichtbaren, unbegreiflichen Gott „Abba – Vater“ sagen. Das können wir, weil Gott der Sohn den unendlichen Abstand zwischen Gott und unserer Gottferne überwunden hat. In Jesus von Nazareth wird er einer von uns, damit wir von ihm, dem Sohn, lernen, dass wir Töchter und Söhne Gottes sind.
Wir sind Erben Gottes und „Miterben“ Christi, sagt Paulus. Mit ihm empfangen wir alles von Gott dem Vater: uns selbst, die Welt, das Leben mit Gott. Ja, man kann sogar sagen: Wir erben das Leben und die Lebensform Gottes in der Welt: die Weise, wie Gott die Menschen und die Welt sieht und liebt, wie er sich an ihr freut und an ihr leidet, und wie er sie nach Hause bringt in das Fest der dreifaltigen Liebe.
Ich bin dann doch nicht Erbe meines Vaters geworden, sondern einer meiner Brüder. Es ging bei uns friedlich zu. In der Komplet vom Donnerstag heißt es: „Auf schönem Land fiel mir mein Erbteil zu, ja mein Erbe gefällt mir gut.“ (Ps 16,6) Früher dachte ich dabei immer an mein Elternhaus. Heute denke ich an jenes Erbe, das Gott uns mit Christus schenkt – uns miteinander und uns für die Welt, nach der Gott sich sehnt und die er zur Erbin machen will.
Fra’ Georg Lengerke
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Pfingsten ist das Fest der großen Bewegung, äußerlich und innerlich. Der Heilige Geist kommt unter einem sturmartigen Brausen, erfüllt das Haus, in dem die Apostel und Maria beisammen sind, und erscheint in Gestalt je einer Feuerzunge über jedem der Versammelten. Das Erfülltsein mit Heiligem Geist zeigt sich in ihrer Verstehbarkeit: Die Pilger aus allen Völkern hören sie in ihrer Sprache reden und sind „fassungslos vor Staunen“.
Die Schrift sagt, der Heilige Geist verleiht dem Menschen Gaben und schenkt seinen Entscheidungen und Taten Früchte. Er ist die Kraft der Wandlung und der Erneuerung, der Bekehrung und Versöhnung, der Heilung und der Heiligung, er wirkt die Verbundenheit mit Gott und befähigt zur Liebe, die von Gott kommt.
Alles das wird von Menschen bezeugt, die seit den Tagen in Jerusalem bis heute auf das Wirken des Heiligen Geistes vertrauen.
Das kann tröstlich sein, wo der Geist bereits erfahren wird. Das kann verheißungsvoll sein, wo sein Wirken ersehnt wird. – Und das kann die Erwartungen dessen beflügeln, was der Heilige Geist in einem Leben wirken möge.
Für Menschen mit einer Neigung zu Hysterie oder Dramatik kann das gefährlich sein. Manche leben über Jahre in der Erwartung, wann der Heilige Geist nun endlich den großen Befreiungsschlag, die große Wende zum Guten herbeiführt und alles auf einmal verwandelt.
Solche Erwartungen können etwas Tragisches bekommen, wenn das ganze Leben sich dauernd mit aller Macht nach dem Nichterfüllten ausstreckt. Sie können auch von jenem Wirken des Heiligen Geistes ablenken, dass sich nicht in Sturm, Beben oder Feuer vollzieht, sondern in der Ahnung einer Bewegung beginnt.
Ich bin was „gewaltige“ Erwartungen angeht, eher zurückhaltend. Nicht, weil ich dem Heiligen Geist nicht die Erneuerung der Welt zutraute. Im Gegenteil, die halte ich für ihre einzige Chance. Aber solche „Alles-auf-einmal-Erwartungen“ gibt es in der Bibel nicht. Und das mit gutem Grund. Das Wirken des Heiligen Geistes ist nämlich – wie alles Gute – gefährlich, wenn es nicht auf eine Weise und in einem Maß geschieht, die für den Menschen annehmbar, erträglich, ja überlebbar ist.
In der zweiten Evangelienlesung, die am Pfingstfest in der katholischen Kirche gelesen wird, spricht Jesus von der Sendung des Heiligen Geistes. Dieser „Geist der Wahrheit“ gibt Zeugnis für Jesus und macht zu Zeugen Jesu, die er erreicht. Und dann heißt es: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.“
Hätte Jesus den Jüngern in seiner irdischen Lebenszeit das Viele gesagt, das er noch zu sagen hatte, sie hätten es nicht tragen können. Es wäre unerträglich gewesen. Es hätte sie überfordert, verschreckt, erdrückt, gedemütigt – und vielleicht noch Schlimmeres.
Der Heilige Geist sagt uns das Wort Jesu, und zwar so, dass wir es aufnehmen und verstehen, uns von ihm erreichen und führen lassen können. Er ist der Kontinuierer, der Vergegenwärtiger, der Dosierer des Wortes Jesu. Er ist der Raum, in dem das Gespräch mit Gott weitergeht im Hören und Beten und Lieben der Christen und der Kirche.
Neulich traf ich einen Bekannten, der wissenschaftlich hochbegabt und von fragiler Gesundheit ist. Er ist häufig hin- und hergerissen zwischen Euphorie und Lebensmüdigkeit, zwischen dem scheinbar unerschütterlichen Selbstbewusstsein des Key-Note-Speakers und der Verzweiflung dessen, den die geringste Kritik sich selbst verachten lässt.
„Pfingsten ist für mich ein schwieriges Fest“, sagt er. „Ich will die Euphorie nicht, aus der ich immer in den Abgrund stürze.“ Aber Euphorie ist keine der Gaben Gottes. Gottes Geist ist mächtiger als alles. Er erschafft das Universum. Aber er macht nicht „alles auf einmal“ neu, sondern „manches auf vielmal“ – Tag für Tag – bis das Angesicht der Erde erneuert und sein Werk an uns (und mit uns) vollendet ist.
Fra’ Georg Lengerke
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Ich bin kein Fachmann in Sachen Fußball. Das bringt mir unter den jüngeren meiner Freunde mitunter liebevollen Spott und umständliche Erklärungen von Allgemeinplätzen ein. Beides mag ich.
Aber ich freue mich an einem schönen Spiel und bange mit. Auch schon davor. Wer spielt? Wer sitzt auf der Ersatzbank? Wie auch immer, am Ende müssen da elf stehen und spielen.
In der Kirche sind elf einer zu wenig. Es müssen zwölf sein. Aus seinen Jüngern wählt Jesus zwölf aus, die er Apostel nennt. Denen gibt er eine besondere Sendung, Vollmacht und Verantwortung für die Kirche. Warum zwölf? Weil Jesus anknüpft an die zwölf Stämme Israels, wenn er das Volk Gottes aus Juden und Heiden neu sammelt und sendet.
Das waren denkbar verschiedene Männer mit ihren Stärken und Schwächen. Auch diese Urzelle der Kirche war nicht vor Verwerfungen, Schuld und Verrat sicher. Am spektakulärsten zeigte sich das im Fall des Judas Iskariot. Der hatte Jesus nicht nur verraten und das später bitter bereut (wie andere auch), sondern konnte sich das auch nicht verzeihen, so dass er sich selbst richtete.
Aber elf sind einer zu wenig. Das wussten auch die verbleibenden Apostel. Sie losen aus zwei Kandidaten, die schon gemeinsam mit ihnen und Jesus gegangen waren, einen aus, um mit ihnen „Zeuge der Auferstehung“ zu sein. Matthias trifft das Los.
Das Festhalten an der Zahl der Zwölf und an der Besonderheit des Dienstes der Apostel erinnert die Kirche an ihr Leben aus dem Ursprung und gilt als entscheidender Schritt zur Herausbildung des Bischofsamtes im ersten Jahrhundert. Aber die Merkmale der Aufnahme des Matthias in den Apostelkreis scheinen mir auch allgemein bedenkenswert für die Frage, wie jemand zur Kirche der Apostel gehören will.
Denn viele, die formal (noch) zur Kirche gehören, sind in ihr heimatlos geworden. Entweder, weil ihnen die Inhalte des Glaubens fremd geworden sind, oder weil ihnen die Inhalte des Glaubens nicht mehr angeboten werden. Die Kirche macht keinen Unterschied mehr.
Aber immer wieder gibt es auch solche, die Erfahrungen machen, welche sie neu nach Gott suchen lassen. Und manche von ihnen erkennen dann auch ihr bisheriges Leben als eines, dass sie – wie Matthias (vielleicht auf Abstand zu den anderen) – bereits mit Gott und mit Jesus gelebt haben. Und diese Beziehung will nun konkreter werden, und aus ihr resultiert dann ein „apostolischer“ Auftrag, eine Sendung zu den Menschen.
Die solche Erfahrungen machen, haben Sehnsucht nach Richtung und Sinn; danach, dass es ihnen wieder um etwas geht; und danach, dass dieses „etwas“ so lebensrelevant und kostbar ist, dass es sich dafür zu leben und zu leiden, sich zu mühen und zu kämpfen lohnt.
Dafür kann es wichtig sein, die Scheu vor den Elf, also vor den anderen Christen, zu verlieren. Die kann aus Verachtung oder Bewunderung herrühren. Sie mögen einem vielleicht naiver oder frömmer oder fortgeschrittener vorkommen als man selbst ist oder sein will. Oft sind solche Eindrücke nur Idealisierungen. Aber manchmal gilt auch, was Augustinus von seiner Berufung berichtet: Gott ruft nicht die Guten. Sondern er macht die gut, die er ruft.
Wenn ich das glaube, kann ich mich auch damit versöhnen, nicht von Anfang an oder nicht bei einem engeren Kreis dabei gewesen zu sein. Einmal werden wir sehen, was alles in unserem scheinbar nur dahingelebten Leben von ewigem Wert war. Und was wir gerade dort haben empfangen und geben können, wohin wir gestellt wurden.
Und dann kann sich auch die Empörung über Versagen und Schuld in der Kirche von Judas bis heute verwandeln. Und zwar in ein Lebenszeugnis wie das des Matthias, das ein Gegengewicht, einen Ausgleich und Ersatz zu dem darstellt, was andere gefehlt haben.
Und schließlich sagt die Berufung des Matthias jedem, der sich nach Gott sehnt: Du bist, wie keiner ist. Du hast, was keiner hat. Du vermagst, was keiner vermag. Ohne dich ist die Kirche unvollständig. Elf sind einfach einer zu wenig.
Fra’ Georg Lengerke
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Heute feiere ich mit Bernadette ihre erste heilige Kommunion. Da trifft es sich gut, dass Jesus im Evangelium über seine Freunde spricht. Der Tag heute ist ein Schritt auf dem Weg der Freundschaft zwischen Jesus und Bernadette. Was heißt nun Freundschaft mit Jesus Christus? Und wie ist es bei mir um sie bestellt?
„Freund“ mag zunächst ein wenig lapidar klingen, wenn es um die Beziehung zu Gott geht. Das Wort wird ja inflationär gebraucht, z.B. für alle irgendwie im Netz miteinander Verbundenen oder von Ex-Geliebten, die beteuern, sie würden „gute Freunde bleiben“.
Aber ursprünglich bezeichnet Freundschaft (philia) nicht nur eine Art von näherer Bekanntschaft oder gegenseitiger Sympathie. Freundschaft ist vielmehr eine Weise der Liebe. Und Liebe ist mehr als Gefühl. Lieben heißt, zu wollen und das Meine dazu zu tun, dass der Andere zu seiner ganzen Größe und Schönheit kommt. Wo dieses „Groß-sein-Lassen“ des Anderen erwidert wird, da ist Freundschaft. Freundschaft ist gegenseitige Liebe.
Freundschaft ist eine Beziehung von Ebenbürtigen, die jedoch verschieden sind, und die einander Anteil geben und nehmen – an ihrem Leben, ihren Gaben und ihrem Geschick. Was einer hat, hat er auch für den anderen. Was den einen trifft, lässt den anderen nicht unberührt.
Und schließlich sind Freunde Menschen, die etwas gemeinsam haben, denen es miteinander um etwas geht, „die Gemeinschaft in wichtigen Dingen haben“ (Franz von Sales).
„Ich habe euch Freunde genannt“, sagt Jesus den Jüngern. Uns wird keine Reaktion der Angesprochenen berichtet. Aber es ist zu vermuten, dass es die Männer und Frauen erschüttert hat, die Jesus gekannt und ihm geglaubt haben, mit ihm vertraut wurden und ihn geliebt haben.
Denn sie haben ja immer wieder das göttliche Anderssein dieses Menschen erlebt und erlitten. Sie haben auf menschlicher Ebene das größte Gefälle erlebt, dass es geben kann: die unvergleichliche Andersheit vom Urgrund des Seins und dem Seienden, von Schöpfer und Geschöpf, von Gott und der Welt.
Aber wenn Gott sich offenbart, dann sucht er die Erkennbarkeit, die Ähnlichkeit, die Ebenbürtigkeit mit dem Menschen, dem er sich offenbaren will. Von dem Moment, in dem Gott mit Mose redet, „von Angesicht zu Angesicht, wie einer mit seinem Freund spricht“ (Ex 33,11), bis hin zu Jesus, in dem Gott sich als ein Mensch offenbart, „in allem uns gleich, außer der Sünde“ (IV. Hochgebet, vgl. Hebr 4,15).
Vergessen wir mal das Gefälle, will Jesus sagen. Vergessen wir mal für einen Augenblick, dass ich der Herr bin und ihr Diener seid. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte“, sagt er, „denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Joh 15,15)
Nichts von dem, was ich vom Vater erfahren und empfangen habe, behalte ich für mich. Alles höre und habe ich für euch. Alles sage und gebe ich euch.
Und dann blitzt doch nochmal kurz das Gefälle auf: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich Euch auftrage.“ Er bleibt ja doch auch der Herr, der einen Auftrag und eine Sendung für seine Freunde hat.
Aber auch das gehört zu jeder Freundschaft, dass der eine nach dem fragt, was der andere erkannt hat – nach dem, was er soll und was er will. Angenommen, der eine Freund hat nun den Willen Gottes, das schlechthin Gute ganz erkannt, dann gehört zur Freundschaft auch, dass sein Freund mit ihm will, was er will, mit ihm liebt, was er liebt, und für ihn tut, was er getan haben will.
Und so, sagt Jesus, bekommt er auch Anteil am Leben des göttlichen Freundes und an der unaussprechlichen Freude, die dieser nicht für sich behalten will.
„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“, sagt Jesus. Und nun ist die Wahl bei uns. Bernadette war neulich bei mir. Sie will eine Freundin Jesu sein. Und ihre Freude nimmt mich mit zu dem, der will, dass die Seinen „Freunde Jesu“ für die Menschen sind.
Fra’ Georg Lengerke
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Wer bin ich? Das ist vielleicht die existentiellste Frage, die ein Mensch stellen kann. Ich kenne Menschen, die sich besser, und solche, die sich weniger gut kennen.
Die sich besser kennen, wissen sowohl um ihre Schwächen als auch um ihre Stärken. Und sie wissen um die Grenzen ihres Wissens von sich selbst. Sie wissen, dass sie mehr sind, als was sie von sich wissen. Wenn es gut geht, lernen sie sich ein Leben lang kennen.
Die sich nicht so gut kennen, haben Vorstellungen von sich, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Und an denen sie nicht selten ständig scheitern – zusammen mit ihren Nächsten, die gerne wüssten, mit wem sie es zu tun haben.
Die Frage ist heute von besonderer Brisanz, weil es keinen Konsens darüber mehr gibt, was eigentlich die Kriterien meines Selbst-Seins sind. Was ist mir biologisch und biographisch vorgegeben? Was obliegt meiner Wahl und meiner Freiheit, zu entscheiden, einzuüben oder zu entwickeln? Was ist mir andererseits durch fremde Meinung, gesellschaftliche Konvention oder Zuschreibung auferlegt? Und was davon sollte ich annehmen und was zurückweisen und ablegen?
Kann ich sein, was ich will? Oder soll ich wollen, was ich bin?
Die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich jeder Mensch früher oder später. Mit jedem geht sie irgendwie mit. Aber ausdrücklich wird sie nur selten gestellt. An wen sollte man sie auch stellen? Weiß ich nicht selbst am besten, wer ich bin?
Nicht unbedingt: Andere kannten mich schon, bevor ich mich kannte. Und vielleicht werden andere mich noch kennen, wenn ich mich selbst nicht mehr kenne.
Aber bin ich andererseits nicht oft genug auch verkannt worden? Oder haben mich Menschen nicht manipuliert, bevormundet und ausgenutzt, indem sie allzu genau zu wissen meinten, wer und wie ich bin?
Die Offenbarung der Juden und Christen beschreibt den Menschen als Wesen, das sich selbst angesichts eines Anderen kennen und anzunehmen, lieben und hervorzubringen lernt. Nicht, indem er sich narzisstisch im Anderen spiegelt und vor ihm ein Gesicht macht, sondern indem er sich dem Anderen zu erkennen gibt und in der Sicht des Anderen ein Gesicht bekommt.
Und das wird nicht nur von der Beziehung von Mensch und Mensch, sondern auch von der Beziehung von Mensch und Gott gesagt. Denn die versichtbart sich in der liebenden Beziehung eines Menschen zu seinem Nächsten.
Wir sind, was wir sind, von Gott her, sagt die Schrift. Und wir werden, was wir sind, zu ihm hin. Und das bedeutet ursprünglich gerade nicht Gängelung, Bevormundung und Knechtschaft, sondern Befähigung, Ermächtigung und Freiheit.
„Wir heißen Kinder Gottes“, sagt der Erste Johannesbrief, „und wir sind es.“ Ursprünglich war das offensichtlich. Bis zu dem Moment, in dem der Mensch meinte, sich vor Gott in Sicherheit bringen zu sollen, und sich damit auch dem Blick entzog, der ihn vollkommen kennt und liebt.
Jetzt ist es verborgen, sagt Johannes. Wer Gott nicht denken kann, kann auch den Menschen nicht von Gott her denken. „Deshalb erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.“
Aber einmal wird es offenbar werden. Wer liebt, erkennt den geliebten Anderen. Und wer sich lieben lässt, weiß, wie es ist, erkannt zu werden. Einer liebt und erkennt uns vollkommen. Deshalb sagt Jesus: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“
Dieses Gekanntwerden hat schon manchen durch tiefe Dunkelheiten geführt. Einer davon ist Dietrich Bonhoeffer. Im Gefängnis beginnt er ein bekanntes Gebet mit unserer Ausgangsfrage: „Wer bin ich?“
Bin ich so, fragt er sich, wie die Leute meinen, dass ich bin? Stark und sicher, mutig und entschieden, frei und vornehm? Oder bin ich so, wie ich mich selbst wahrnehme? Schwach und ängstlich, unverlässlich und unberechenbar, getrieben und richtungslos? „Bin ich dieser oder jener?“, fragt Bonhoeffer zum Schluss und endet vor dem, der ihn allein ganz kennt. „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Amen.“
Fra’ Georg Lengerke
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„Ich glaube nicht mehr an Geistergeschichten!“, sagt Elisabeth Turner in „Fluch der Karibik“, als im Mondschein Leben in die Gerippe einer Gruppe toter Piraten kommt. „Ihr solltet aber an Geistergeschichten glauben, Mrs Turner!“ antwortet der untote Piratenfürst Barbossa. „Ihr seid mitten in einer drin!“
So kommt es den Jüngern bei der Begegnung mit dem Auferstandenen vor. Als wären sie in eine Geistergeschichte geraten. Aber nicht in eine erzählte, sondern in eine erlebte. Anders konnten sie sich die Begegnung mit dem Auferstandenen nicht erklären.
Im Film klagt der Pirat Barbossa, dass er weder zu den Lebenden noch zu den Toten gehöre, und weder an den Freuden des Lebens noch am Frieden des Todes teilnehmen könne. Und zum Beweis entkorkt er mit den Zähnen eine Weinflasche und trinkt daraus, während der Wein durch das Gerippe auf den Boden plätschert.
Jesus bittet um etwas zu essen und isst vor den Augen der Apostel. Er ist kein Geist. Er ist leiblich unter ihnen da. Anders leiblich – verwandelt oder verklärt – wie ihn drei Apostel einige Monate zuvor auf dem Berg gesehen haben. Er geht durch Türen, aber der Fisch, den er isst, fällt nicht zu Boden. Er durchdringt alles, aber nichts durchdringt ihn.
Es scheint fast, als sei der Auferstandene die wirklichere Wirklichkeit, verglichen mit den Dingen, die ihn nicht länger daran hindern können, bei den Jüngern zu sein.
Die Leiblichkeit des Auferstandenen ist das eine, was die Evangelisten betonen. Aber es geht nicht nur um Leiblichkeit, sondern um Selbigkeit. Um Identität.
Um die Identität eines Ausweisträgers mit dem im Dokument Ausgewiesenen zu beweisen, stand bis in die 80ger Jahre hinein in deutschen Reisepässen ein Angabenfeld „Besondere Kennzeichen“. „Blinddarmnarbe“ hätte da bei mir stehen können. Das Feld war aber leer.
Weil die Jünger den Auferstandenen nicht erkennen, weist er sich aus. Sein Ausweis sind „besondere Kennzeichen“: die Wundmale an Händen und Füßen.
Es sind Wunden, nicht Narben, die die Jünger sehen. Die Goldene Legende (Legenda Aurea, 13. Jh) berichtet, wie sich dem Hl. Martin von Tours eine herrliche Gestalt als der auferstandene Christus ausgibt. Martin entlarvt den Betrug des Versuchers: „Ich werde nicht glauben, Christus sei gekommen, außer ich sehe ihn in der Gestalt, in der gelitten hat, und mit den Wundmalen seiner Kreuzigung.“
Was sagt uns der Ausweis der Wunden?
Die Wunden sagen: „Ich bin es!“ Ich bin derselbe, der euch gerufen, den ihr gehört, dem ihr geglaubt habt und dem ihr nachgefolgt seid, der gegeißelt und gekreuzigt wurde, um den ihr getrauert und den ihr aufgegeben habt.
Die Wunden sagen: „So seid ihr!“ Weil auch ihr Wunden tragt und verletzt seid – offenbar oder verborgen. Und weil auch ihr Wunden schlagt an Leibern und Seelen – offenbare und verborgene.
Die Wunden sagen: „So bin ich!“ Ich halte mein Wort, wie der Vater sein Wort hält. Ich lebe euer Leben mit Euch und mache eure Wunden zu meinen Wunden. Ich lasse mich nicht herauswerfen aus der Welt. Ich bleibe – auch unter den Schlägen der Menschen – und liebe euch durch den Tod hindurch.
Und die Wunden sagen: „So wird es sein!“ Der Himmel und die Gemeinschaft mit Gott ist nicht die heile Alternative zur Welt, sondern ihr Ziel. Alles soll einmal vor Gott kommen und dort geheilt, versöhnt und vollendet werden.
Ihr braucht euch eurer Wunden nicht zu schämen, sagen uns die Wunden des Auferstandenen. Sie sind eure Erkennungszeichen vor ihm.
Vor ein paar Jahren habe ich nach Ostern im Libanon über diese Stelle gepredigt. Um mich lauter schwerstbehinderte Menschen und ihre Begleiter. Vor mir saß der zwölfjährige Toufik – den Kopf voller frischer Wunden.
Und ich dachte: Die Auferstehung Jesu ist keine Geistergeschichte. Die Wunden des Auferstandenen sind so real wie die von Toufik. Und deren Heilung, Versöhnung und Vollendung beginnt bereits da, wo wir die Wunden der Menschen berühren, die Jesus zu seinen gemacht hat.
Fra’ Georg Lengerke
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„Was brauchst du, um jemandem glauben zu können?“, fragt mich die Freundin während ich mit einem befreundeten Ehepaar wandern bin. Wir sprechen über das Evangelium vom Zweifel des Thomas und seine Begegnung mit dem Auferstandenen. Was brauche ich, um glauben zu können? Wir kommen miteinander auf dreierlei:
Erstens einen Menschen, den ich für glaubwürdig halte. Zweitens die Heilung meines Misstrauens. Und drittens eine Botschaft, die für mich so relevant ist, dass mir nicht einfach egal sein kann, ob sie wahr ist oder nicht.
Dann erzählen wir uns von Menschen, denen wir geglaubt haben. Glaube ist Beziehungssache. Geglaubt habe ich immer jemandem etwas.
„Weil du gesehen hast, Thomas, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus zum Apostel Thomas. Der hatte den übrigen Aposteln den Bericht über die Begegnung mit dem Auferstandenen acht Tage zuvor nicht geglaubt.
Wenn ich mit Menschen über den religiösen Glauben spreche, sind wir schnell bei der Frage, ob wir das Wissen dem Glauben nicht besser vorziehen sollten, und ob das nicht genüge.
Etwas wissen im engeren Sinne bedeutet, es selbst gesehen, überprüft und erkannt zu haben. Aber das gilt nur von einem Bruchteil von dem, wovon ich sage, dass ich es weiß. Das meiste, was ich weiß, habe ich anderen geglaubt: Erst den Eltern und Geschwistern, dann Freunden und Lehrern, später Wissenschaftlern und Journalisten.
Mein Wissen nährt sich aus einem Beziehungssystem, dass auf der Verpflichtung zur Wahrheit, auf Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gegründet ist.
Wenn wir uns daran in unserem alltäglichen Tun erinnern, dann stellen wir fest, wie zerstörerisch, ja tödlich für den Einzelnen und jede Gemeinschaft die Lüge ist und das von ihr erzeugte Misstrauen, das wiederum Lügen gebiert. Es gibt relative Erkenntnisse der Wahrheit und Perspektiven auf sie. Wer aber die Wahrheits- und Erkenntnisfähigkeit des Menschen per se leugnet, darf sich über Fake-News und „alternative Fakten“ nicht beklagen.
„Weil du gesehen hast, glaubst du“, sagt Jesus zu Thomas. Auch die Wahrheit und die Bedeutung des Gesehenen müssen wir glauben, wenn wir es wissen wollen. Dass etwas ist und nicht nur scheint, als ob. Dass Du Du bist und kein anderer. Dass Dein Lächeln Glück oder Freundlichkeit und nicht nur Maske ist. Die Notwendigkeit, uns der Wahrheit anzuvertrauen, nimmt uns keiner ab. Wie sehr wir das getan haben, merken wir oft erst, wenn wir enttäuscht werden.
In der Begegnung von Jesus und Thomas geht es nun darum, Unsichtbares und einem Unsichtbaren zu glauben: „Selig, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus zu dem zweifelnden Apostel.
Auch im Alltag ist übrigens oft das Entscheidende selbst unsichtbar. Geist, Liebe, Glück können wir nicht selbst, sondern nur in Anderem sehen. Und auch unsere Nächsten sind mehr als das, was wir von ihnen sehen und messen können. Wir müssen also zunächst – über das Sichtbare hinaus – unsere(!) Nächsten glauben, bevor wir unseren(!) Nächsten und an unsere Nächsten glauben können.
Noch ist der Auferstandene sichtbar. Aber bald wird er an dieser einen Stelle der Welt unsichtbar sein, um nach Pfingsten an allen Orten der Welt geglaubt und erkannt, geliebt und in der Liebe versichtbart zu werden.
Wir drei Freunde erzählen einander beim Gehen allerlei Altes und Neues, Ernstes und Spaßiges. Und in allem geht es irgendwie um den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Und wieder einmal staune ich: Der Auferstandene hat sich unseren Beziehungen anvertraut. Es gibt für uns zu ihm keinen Weg an den Anderen vorbei; und es gibt für ihn zu uns keinen Weg an den Anderen vorbei, wenn der Unsichtbare unter uns erkennbar, wahrnehmbar und in seiner Liebe für uns rettend werden soll.
Ich glaube den Freunden die Gegenwart des Auferstandenen unter uns und seine Liebe zu mir, mit der zusammen ich die Menschen lieben darf.
Fra' Georg Lengerke
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(Deutschlandfunk, Am Sonntagmorgen, Ostersonntag, 31. März 2024)
In der vergangenen Nacht hat die Christenheit begonnen, das Osterfest zu feiern. Die letzten Tage waren in vielen Gemeinden davon geprägt, in Gottesdiensten die letzten Stationen im Leben Jesu nachzugehen. Sie haben seinen Einzug nach Jerusalem gefeiert und des letzten Abendmahls gedacht. Sie haben die Berichte von Gefangennahme und Prozess, Hinrichtung und Kreuzestod Jesu gelesen und gestern an seine Grabesruhe erinnert. Die Feier der Osternacht mündete heute dann in den Osterjubel über die Auferstehung Jesu: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden. Halleluja.“
In dieser Sendung zum Osterfest möchte ich aus verschiedenen Perspektiven diesen Übergang von der Grabesruhe zum Osterjubel betrachten. Denn beim näheren Hinsehen ist für die Menschen um Jesus die Grabesruhe bereits eine Grabesunruhe. Und das Grab Jesu wird zu der Stelle, an der das Siegesfest des Lebens mit einem Todesschrecken beginnt.
1. Ruhe sanft!
Am Ende der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach scheint endlich alles vorbei zu sein. Nach dem Prozess und der Leidensgeschichte bis zum Tod des gekreuzigten Jesus besingt und beweint der Chor den Begrabenen:
„Wir setzen uns mit Tränen nieder /
Und rufen dir im Grabe zu: /
Ruhe sanfte, sanfte ruh!“Die Grabesruhe Jesu wird in den Tagen vor dem Osterfest eigens begangen. Am Karfreitag wird feierlich und mit verteilten Rollen die Leidensgeschichte Jesu gelesen. Anschließend folgt eine feierliche Kreuzverehrung. Nach dem Gottesdienst ist die Kirche leer und dunkel. Aller Schmuck und jedes Zeichen von Feierlichkeit wird entfernt. Am Karsamstag dann ist alles still. Es werden keine Gottesdienste gefeiert. Die Kirche begeht die Grabesruhe Jesu.
Für mich hat die Grabesruhe des Karsamstags immer etwas Ambivalentes. Einerseits empfinde ich ein Aufatmen über das „Es ist vollbracht“, das Jesus am Ende seines Lebens spricht. Ich bin erleichtert, dass die Qual ein Ende hat und möchte einstimmen, wenn am Ende der Matthäuspassion der Chor dem Gestorbenen zuruft: „Mein Jesu, gute Nacht!“ und „Ruhe sanfte, sanfte ruh!“
Andererseits fallen Wunsch und Empfinden nicht selten auseinander, wenn Menschen um einen geliebten Menschen trauern. Die Ruhe, die sie dem Verstorbenen wünschen, stellt sich bei den Trauernden selbst oft lange nicht ein. Der Tod eines lieben Menschen kann uns aufwühlen. Die Liebe sehnt sich nach einem Wiedersehen. Schmerz und Trauer versetzen das Empfinden und Denken in Unruhe. Vor allem dann, wenn es sich um einen plötzlichen oder dramatischen oder gar um einen von anderen Menschen verschuldeten Tod handelt.
Und wie sieht es angesichts des Todes eines vertrauten Menschen mit der Frage nach Schuld und Vergebung aus? Wenn er an uns oder wir an ihm schuldig geworden sind, ist mit seinem Tod für uns ja nicht einfach alles vorbei. Habe ich eine Hoffnung und einen Willen, dass auch mein Widersacher Versöhnung und Frieden oder vielleicht sogar unsterbliches Leben findet? Und wie soll Versöhnung geschehen, wenn einer unwiderruflich gegangen und die Zeit zum Gespräch verstrichen ist?
(Der restliche Text erscheint in Kürze auf www.betdenkzettel.de. Bereits jetzt ist er in voller Länge hörbar.)
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Während meines Theologiestudiums war ich bei Freunden zum Abendessen eingeladen. Sie hatten zwei Töchter von vielleicht 13 und 15 Jahren. Vor dem Essen sagt die Mutter in der Küche: „Die Mädchen haben Dir übrigens einen Spitznamen gegeben.“ „Ach so?“ frage ich amüsiert. „Ja, beim Frühstück sagten sie: Heute Abend kommt die Verschwendung.“
Das war ein liebevoll-spöttisches Kompliment von Teenagerinnen an einen Spätzwanziger, dass dieser nicht bloß aus Mangel an Alternativen Priester werden wollte. Ich gestehe, dass ich damals für ein solches Kompliment nicht unempfänglich war.
Aber eigentlich ist „Verschwendung“ kein positiv konnotierter Begriff. Sie besteht in einer unverhältnismäßigen, vergeblichen Ausgabe oder Verausgabung. Sie ist ökologisch, wirtschaftlich oder gesundheitlich nicht zu verantworten. Und sie gehört zur Luxuria, der Wollust, einem der Hauptlaster des klassischen Lasterkataloges.
Die Neckerei der Mädchen hatte mich gefreut. Aber sie erinnerte mich zugleich an eine ernste Lebensfrage. War mein Leben nicht vielleicht wirklich eine Verschwendung? Bedeutete die Entscheidung, Priester und nicht Rechtsanwalt zu werden, ein Erbe nicht anzutreten, das Mädchen, das ich lieb hatte, nicht zu heiraten, keine Kinder und keine Familie zu haben, nicht doch eine vergebliche Vergeudung meines Lebens? Hatte ich mein Leben für einen Irrtum, schlimmstenfalls für eine Ideologie und Pfaffenlüge eingesetzt? Später wurden mir solche Fragen von anderen auch weniger freundlich gestellt.
Am Beginn der Heiligen Woche wird am Palmsonntag die Leidensgeschichte Jesu gelesen. Vor dessen Ankunft in Jerusalem erzählt Markus von einer Begegnung in Betanien bei der eine Frau (bei Johannes ist es Maria, die Schwester der Freunde Jesu Marta und Lazarus) mit einem Alabastergefäß von „echtem, kostbarem Nardenöl“ an Jesus herantritt und ihm das Haupt salbt.
„Wozu diese Verschwendung?“, murren die Jünger Jesu. „Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denáre verkaufen und das Geld den Armen geben können.“
Warum Öl im Wert des Jahresgehalts eines Arbeiters für eine scheinbar sinn- und folgenlose Geste? Warum erlesenste Körperpflege für einen, der Einfachheit gepredigt hat und sowieso bald sterben wird? Warum tut jemand so was?
Nun, zunächst möglicherweise einfach so. Die Liebe braucht kein Wozu. Die Liebe bezweckt nichts. Es geht ihr nur um den Anderen – um seiner selbst willen. Sie sagt: Du bist es wert.
Dann ist es aber auch ein Akt der Verehrung über alles menschlich zu Rechtfertigende hinaus. Der so Verehrte ist nicht einer unter vielen. Er ist unvergleichlich. Eine solche Ehre kommt nur Gott zu.
Jesus selbst gibt einen weiteren Grund: „Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt.“ Hingerichteten Verbrechern wurde die rituelle Salbung vor dem Begräbnis verwehrt. Vor seinem Sterben erlaubt Jesus Maria diesen letzten Liebesdienst.
Und Maria erwidert damit die Liebe Jesu. Sie will verschwenderisch lieben wie er. Und sie will zeigen: Dein Leben und Sterben ist die maßlose Liebe Gottes zu uns, die nicht vergeblich ist und die uns sagt: Ihr seid es wert.
Jesus ergänzt ein Wort, das bis heute eine Provokation darstellt: „Die Armen habt ihr immer bei euch […]; mich aber habt ihr nicht immer.“ Jesus spielt seine Gegenwart damit nicht gegen die der Armen aus. Aber er erinnert uns, über die Armen seine Gegenwart nicht zu vergessen. Denn sie ist die Gegenwart der Liebe Gottes zu den Armen. Ihm die Ehre geben, heißt dem die Ehre geben, dessen Liebe zu den Armen der unseren vorausgeht, sich in unserer offenbaren will und über unsere Liebe hinausgeht.
Ich denke noch heute manchmal an den Scherz der beiden Mädchen. Sie erinnern mich daran, dass es im Leben der Christen darum geht: dass sie mit Christus als verschwenderisch Geliebte verschwenderisch lieben. Wenn ich das versuche, dann wird mein Leben hoffentlich eine Verschwendung, aber gewiss nicht vergeblich gewesen sein.
Fra' Georg Lengerke
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„Beam me up, Scotty!” Der Satz gilt als das berühmteste Zitat aus der Serie „Raumschiff Enterprise“. In der Science-Fiction-Serie befindet sich Captain Kirk auf einem Planeten und bittet seinen Chefingenieur Scott, ihn durch „Teleportation“ (also durch Zerlegung hier und Rekonstruktion dort in Sekundenschnelle vermittels Strahlen) wieder ins Raumschiff zurück zu „beamen“. Seither wird es scherzhaft als Wunsch verwendet, aus einer mühsamen oder aussichtslosen Situation augenblicklich herausgeholt und befreit zu werden.
Im Science-Fiction ist das der Befehl an den Chefingenieur. In der irdischen Welt entspricht dem die flehentliche Bitte an Mensch und Gott: „Rette mich!“ und: „Reiß mich heraus!“ (Ps 71,2; 144,7)
Im Johannesevangelium ist für Jesus nach dem Einzug in Jerusalem dieser Moment gekommen. Alle Entscheidungen um ihn herum sind gefallen. Jesus ist im Innersten erschüttert. Und er formuliert die letzte Entscheidung, die noch aussteht: „Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde?“
Das ist ein wichtiger Moment: Bevor Jesus darum bittet, aus dieser Situation gerettet zu werden, fragt er: „Was soll ich sagen?“ Soll ich darum bitten, aus dieser Situation herausgenommen zu werden? Ist gerettet werden das, worum es jetzt geht? Ist es das, was der Vater von mir und für mich will?
Im Gebet geht es vor der Bitte um Rettung darum, nach dem Willen Gottes – also nach dem Gerechten, Guten und der Liebe Gemäßen – zu fragen. Deshalb wird im Vaterunser zuerst um die Erfüllung des Willens Gottes und erst dann um das tägliche Brot gebetet.
„Soll ich sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde?“, fragt Jesus. Das ist eine echte Frage. Jesus hätte das nämlich tun können. Einem seiner kampfbereiten Jünger sagt er vor seiner Verhaftung: „Glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?“ (Mt 26,53) Aber er bittet nicht um zwölf Legionen Engel. Er bittet nicht um Rettung aus dieser Stunde. Warum nicht?
„Deshalb bin ich in diese Stunde gekommen“, sagt er. Und bittet: „Vater, verherrliche deinen Namen.“ Das bedeutet: Ich bin in diese Stunde gekommen, damit der Vater da, wo ich bin, und indem ich da bin, wo ich bin, seinen Namen verherrlicht.
Der unaussprechliche „Name“ Gottes steht für seine Anwesenheit, seine Ansprechbarkeit und sein Wirken dort, wo „sein Name wohnt“ (Jes 18,7). Vater, offenbare deine Ansprechbarkeit und dein Wirken!, bittet Jesus hier.
Jesus entzieht sich nicht. Er bleibt. Er hat erkannt: Der Vater braucht ihn gerade hier und gerade jetzt. Er hat hier und jetzt einen Auftrag, den es zu erfüllen gilt und den keiner statt seiner erfüllen kann. Hier und jetzt ist er die Stelle, in der die Liebe Gottes sich als treu erweist. Auch in allem Hass, der ihn treffen wird. Auch im Sterben. Auch im Tod und durch den Tod hindurch.
An diesem Wochenende bin in einem Seminar zum Thema Zeugnis. Kann das sein, dass mein Zeugnis ist, zu bleiben – und darauf zu verzichten aus dieser oder jener mühsamen oder gar gefährlichen Situation herausgenommen zu werden?
Jesus ist die Stelle der Offenbarung Gottes. Und alle, die zu ihm gehören, sollen es mit ihm werden. Für sie geht es nicht mehr nur darum, dass Gott bei ihnen ist. Sondern darum, dass sie bei Gott sind. „Wo ich bin, dort wird auch mein Jünger sein“, sagt Jesus.
„Beam me up, Scotty!” – Die Sache ist die, dass Captain Kirk diesen Satz in der Serie (1966-1969) so nie gesagt hat. Erst 1986, als es schon eine stehende Redewendung ist, greift Captain Kirk den Satz im Spielfilm Star Trek IV auf.
Im Original sagt Captain Kirk: „Two to beam up, Scotty“. Das ähnelt schon eher dem Gebet, das Jesus mit uns einmal beten wird: „Hier sind zwei, die gerettet werden sollen.“ Der Vater holt uns raus aus dem Tod. Zusammen mit dem Sohn. Wenn die Aufgabe erfüllt, der Dienst getan, das Wort gesagt und die Liebe am Ziel ist. Das hat er versprochen.
Fra' Georg Lengerke
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Einem befreundeten Priester, der existentiell erschöpft war, sagte sein Bischof vor einiger Zeit: „Ich will Sie nicht nur lebend, ich will Sie lebendig.“ Das war nicht nur ein freundlich-ermutigendes Wortspiel, sondern die Beschreibung eines grundsätzlichen Unterschieds.
Was lebend ist, ist nicht tot. Die Biologie bezeichnet materielle Erscheinungen als lebend, die sich durch Stoffwechsel, Replikation und Mutabilität von der unbelebten Umwelt unterscheiden (A. I. Oparin). Die einzelnen Kriterien, um von einem lebenden Menschen zu sprechen, sind umstritten. Aber Einigkeit besteht darin, dass ein Mensch lebt, wenn sein Herz schlägt und seine Zell- und Nervenfunktionen intakt sind.
Damit ist der Mensch aber noch nicht lebendig. Von der Lebendigkeit eines Menschen sprechen wir, wenn er in Bewegung ist und es ihm um etwas geht, wenn er mit seiner Umwelt kommuniziert und sie gestaltet, wenn er sein Leben nicht nur „erlebt“, sondern sein Leben „führt“.
Der Unterschied zwischen lebend und lebendig wird von Menschen sehr leidvoll erlebt. Wer erschöpft oder verzweifelt ist oder sein Leben als fremdbestimmt erfährt, der spricht nicht selten davon, er „werde gelebt“, er „funktioniere“ bestenfalls noch oder sei „lebendig tot“. Es gibt Krisen, in denen kommt es Menschen so vor, als bliebe ihnen vom Leben nur noch die organische Funktion. Sie erfahren sich als „geistig tot“, als wären sie abgeschnitten vom lebendigen Leben, das eine Richtung hat, die ihm Sinn gibt.
„Ich will Sie nicht nur lebend, ich will Sie lebendig.“ sagte der Bischof; und mag damit gemeint haben: Ich will, dass Sie nicht nur funktionieren, sondern gestalten, dass sie nicht nur reagieren, sondern agieren, nicht nur Reflexe zeigen, sondern Antworten geben.
Paulus beschreibt die Wende, die für ihn der Glaube an Christus und die Verbundenheit mit ihm bedeutet, mit ähnlichen Bildern: „Gott, der reich ist an Erbarmen, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus lebendig gemacht.“ (Eph 2,4)
Sünde ist für Paulus mehr als bloß eine moralische Kategorie. Sie bedeutet die Trennung von Gott, der das lebendige Leben ist. Wer diese Trennung erfährt, der erfährt sich als geistlich tot.
Wie also rauskommen aus dieser Trennung? Wie den Schritt gehen aus dem bloßen Dahinleben in die Lebendigkeit der Beziehung zu den Geschöpfen und ihrem Schöpfer, zur Wirklichkeit und ihrem Grund?
Für den Freund, den sein Bischof nicht nur lebend, sondern lebendig wollte, war das möglich durch eine Veränderung seines Arbeitsauftrages und durch einen veränderten Umgang mit dessen Gegebenheiten und Herausforderungen.
Für beides brauchte es Menschen, die sich in ihn hineinversetzt haben: der Bischof, der wusste, wie es ist, zwar noch lebend aber nicht mehr lebendig zu sein, und Freunde und Ratgeber, die ihm halfen, zu einer wirklichkeitsgemäßen Wahrnehmung seiner Rolle und Verantwortung zu kommen und die eigene Berufung neu hören und beantworten zu können.
Dasselbe beschreibt Paulus auf einer noch existentielleren Ebene. In Jesus Christus versetzt sich Gott in uns Menschen hinein. Nicht nur in unser Empfinden, Denken und Urteilen, sondern auch in die Erfahrung des Getrenntseins vom Leben. Dieses Getrenntsein erfährt Jesus Christus an unserer Stelle nicht nur geistig (intellektuell) und geistlich (spirituell), sondern auch leiblich, indem er im physischen Tod die Trennung vom Leben erleidet.
Paulus glaubt an Christus, gehört zu ihm, kommuniziert mit ihm. Die Auferstehung Christi ist für Paulus die Rettung aus dem Tod ins Leben und aus dem Dahinleben in die Lebendigkeit.
„Das war meine Rettung“, sagt der Freund neulich in seiner neuen Pfarrei rückblickend und lächelt erleichtert. Und ich denke mir, dass so ähnlich der hl. Paulus geguckt haben mag, als er den Ephesern schrieb: „Gott hat uns mit Christus lebendig gemacht.“
Fra' Georg Lengerke -
In manchen Kirchen ist der Eingangsbereich ein Kampfplatz. Zum einen finden sich da vom Pfarrbüro angebotene Pfarrbriefe und Zeitschriften, Postkarten und Eine-Welt-Artikel. Zum anderen platzieren dort opponierende Aktivisten ihre eigenen und entfernen die gegnerischen Postillen – die einen mit Szenarien eines verdienten apokalyptischen Weltuntergangs, die anderen mit Aufrufen zu dessen ökopolitischer Verhinderung.
Früher habe ich angesichts solcher Scharmützel und zugeräumter Eingänge häufig an die Schriftstelle von der Tempelreinigung gedacht: Jesus wirft die Händler, die Rinder und Schafe für den Opferkult verkaufen, und die Geldwechsler aus dem Jerusalemer Tempel. „Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“
In der folgenden Auseinandersetzung wird jedoch deutlich, dass es um mehr geht als um die Würde eines heiligen Ortes. Auf die Frage, was für ein Zeichen er vorweisen könne, dass er das dürfe, spricht Jesus davon, dass er den niedergerissenen Tempel „in drei Tagen wieder aufrichten“ werde. „Er aber meinte den Tempel seines Leibes“, ergänzt der Evangelist. Es geht nicht bloß um das Gebäude. Es geht um die Gegenwart Gottes in der Welt. Und für die steht zunächst der Tempel in Jerusalem. Hier wird die Stelle frei- und die Welt offengehalten für die geheimnisvolle und unbegreifliche Gegenwart Gottes. Und Jesus behauptet nun nicht weniger, als dass diese Gegenwart in ihm personal und unüberbietbar in die Welt gekommen sei.
Für die frühen Theologen der Kirche war die Tempelreinigung eine vorweggenommene Kirchenkritik: „Die Händler in der Kirche sind die, welche ihren Vorteil suchen, nicht das, was des Herren ist“, schreibt Augustinus. Und für Beda Venerabilis sind es die, welche die ihnen verliehene „Gnade des Heiligen Geistes […] um der Gunst der öffentlichen Meinung willen (lat.: ad vulgi favorem)“ und nur gemäß ihrer eigenen Vorliebe weitergeben.
Wir dürfen mit Gott nicht Handel treiben. Weder indem wir das, was wir ihm geben, mit dem verrechnen, was wir von ihm bekommen. Noch indem wir das Seine anderen weitergeben, um uns daran letztlich zu bereichern.
Aber auch die Kirche als ganze darf nicht zum Markt oder zur Händlerin auf demselben werden. In der Gefahr ist sie überall dort, wo sie nur noch als Anbieterin sozialer oder spiritueller Dienstleistungen wahrgenommen wird. Als solche ist sie in Deutschland die zweitgrößte Arbeitgeberin nach dem Staat. Und laut Statistik waren 2022 in der evangelischen Kirche und ihren Einrichtungen bereits mehr Menschen angestellt als sonntags in die Kirche gehen. In der katholischen Kirche wird das absehbar auch so sein.
Es ist gut und notwendig, dass Menschen für die Kirche arbeiten. Wo wären wir ohne sie? Auch ich gehöre zu ihnen. Und es gehört zum Wesen der Kirche, dass sie den Menschen dient.
Aber wozu dient sie eigentlich? Wenn die, denen die Kirche Geld gibt, mehr sind als die, denen sie das Wort Gottes gibt, wenn sie mehr Arbeitgeberin als Sinngeberin, mehr Markthändlerin als Offenhalterin für die Gegenwart Gottes ist, dann ist sie in eine Schieflage gekommen, in der ein Boot längst gekentert wäre. Und die ist einer der Gründe, warum viele Gottsucher sich gelangweilt abwenden von einer Kirche, die keine sein will.
Ich weiß nicht, wie sich das grundsätzlich ändern soll. Außer spätestens dann, wenn uns entweder das Geld ausgeht oder wir uns vollends unerkennbar gemacht haben und eine neue Tempelreinigung beginnt.
Bis dahin frage ich mich und die um mich herum, was denn die Kirche für uns ist? Eine Dienstleisterin, von der wir erwarten, dass sie liefert? Oder ein lebendiges Gefüge, zu dem die Christen gehören, wie die Glieder zu einem Leib?
Heute bitte ich darum, dass Jesus Christus mir meine Marktplatz-Erwartungen an die Kirche austreibt, wie die Händler aus dem Tempel, und mich daran erinnert, dass ich zu seinem auferstandenen Leib gehöre, um mit ihm für die Menschen da zu sein.
Fra' Georg Lengerke
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Es gibt Worte, die vergesse ich nicht. Worte von Menschen, die mich lieben. Worte von Fremden, die überraschende Antwort auf brennende aber ungestellte Fragen waren. Worte der Bibel, die mir nie auffiehlen und dann in einer bestimmten Situation mit einem Mal eine ungeahnte Bedeutung bekamen.
Drei der Jünger Jesu (Petrus, Jakobus und Johannes) haben auf einem Berg eine verstörende Erfahrung gemacht. Sie sehen Jesus für einen Augenblick in einer verwandelten Gestalt, die die Grenzen ihrer bisherigen Erfahrung sprengt. Er strahlt auf irdisch unbeschreibliche Weise. Er spricht mit Mose und Elija. Die sind längst verstorben. Aber für ihn sind sie lebendig. Die einst von Jesus sprachen, sprechen nun mit Jesus.
Beim Abstieg verbietet Jesus ihnen, von dieser Erfahrung zu erzählen, bis er von den Toten auferstanden sei. Und dann schreibt der Evangelist: „Dieses Wort beschäftigte sie und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen.“
Für mich ergeben sich daraus drei konkrete Fragen für die Zeit auf Ostern zu:
1. Welches Wort halte ich fest?
Im Griechischen steht da: „Dieses Wort hielten sie fest.“ Wir hören und lesen auf verschiedensten Wegen so viele Worte, wie keine Generation vor uns. Umso wichtiger wird es, nach ihrer Wahrheit, ihrer Güte und ihrer Relevanz zu fragen. Und danach, welche Worte ich festhalte und welche ich zurücklasse, welchen Worten ich Macht gebe, und welche ich zurückweise.
Es können auch verstörende Worte sein, die ich dennoch festhalten soll. Worte, die ich zunächst nicht richtig verstehe, die Zeit brauchen, um von mir angenommen und verstanden, geglaubt und beantwortet und in meinem Leben wirksam zu werden.
Während der Verklärung Jesu hören die Jünger eine Stimme sagen: „Dieser ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören.“ Unmittelbar, wenn er spricht. Mittelbar, wo immer einer von ihm, in seinem Namen oder in seinem Geist spricht.
Welches Wort von ihm oder den Seinen habe ich mal festgehalten, und es ist Zeit mich daran zu erinnern? Welches Wort von ihm will nicht verlieren? Oder wie kann ich überhaupt wieder hören, was er mir sagen will?
2. Was hilft mir, zu schweigen?
Es gibt verschiedene Gründe, warum Jesus Menschen einschärft, einstweilen nicht von dem zu erzählen, was sie von ihm gehört oder mit ihm erlebt haben. Hier wird es vermutlich die Tatsache sein, dass die Bedeutung der Verklärung auf dem Berg erst an Ostern ganz erkannt wird. Erst wenn sie den Auferstandenen sehen und hören, werden sie verstehen, dass Jesus der ist, von dem Mose und Elija gesprochen haben und der auch die Hoffnung und Erfüllung ihres Lebens ist.
Und bis dahin sollen sie das Gesehene und Gehörte nicht herumerzählen. Was wir – kaum, dass wir es erfahren haben – gleich weitererzählen, das verteilt sich nicht nur, sondern verfestigt sich auch. Oft noch ganz unverstanden, als eine Sensation oder Irritation, der gleich die nächste folgen wird.
Was wir erzählt haben, ist unwiderruflich in der Welt. Es kann sich in uns auch nicht mehr „entpuppen“ und jene Wirksamkeit entfalten, die nur im Verborgenen möglich ist.
3. Mit wem kann ich nach der Auferstehung fragen?
Das eine, was es braucht, ist Diskretion. Das andere ist das Gespräch mit denen, die mit mir glauben. Die Jünger, erzählt Markus, „fragen einander, was das sei, von den Toten auferstehen“.
Das ist für viele Christen eine Not. Sie trauen sich nicht, nach dem zu fragen, wovon sie meinen, sie müssten es längst wissen. Oder sie würden gerne fragen, finden aber niemanden, den sie fragen können. Und nicht selten halten sie bald das, wovon man scheinbar nicht reden kann, dann doch nicht für ganz so wichtig.
Wo sind die Menschen, mit denen ich nach dem Wort Jesu fragen und es hören kann? Wo sind die, mit denen ich schweigen kann und die mir helfen, jene Diskretion zu üben, die es zum Verstehen und Wirksamwerden des Wortes Gottes braucht? Und wo sind die, mit denen ich nach der Auferstehung Jesu und nach unserer Auferstehung fragen kann?
Fra' Georg Lengerke
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Diese Woche besuchten mich der Vater und der designierte Pate eines Täuflings. Wir sprachen über die Taufe im Allgemeinen und die Rolle des Paten im Besonderen. Das war ein schönes Gespräch. Dennoch überkam mich eine gewisse Verlegenheit.
Die gleiche Verlegenheit empfinde ich bei der heutigen Lesung aus dem Ersten Petrusbrief. Sie sagt uns, dass Jesus Christus in den Tod hinabsteigt, um den Toten das Wort des Lebens zu bringen. Auch die, für die die Sintflut den Tod bedeutete, sollen ins Leben bei Gott kommen. Und dann heißt es: „Dem entspricht die Taufe, die jetzt euch rettet.“
Aber wer von uns Heutigen würde sagen, die Taufe habe ihn „gerettet“? Die allerwenigsten von uns können sich erinnern oder haben sich entschieden, getauft zu werden.
Die Texte der frühen Kirche über die Taufe erzählen uns, was für eine radikale Wende im Leben der frühen Christen die Taufe gewesen sein muss. Für Erwachsene, die sich taufen lassen, ist sie das oft auch heute noch. Es ist eine Veränderung in der ganzen Lebensrichtung auf Gott hin, eine Veränderung der Sicht auf alles und jeden mit dem Blick Jesu, die Annahme und der Mitvollzug einer nicht gekannten Liebe, die durch den Tod geht, und das Versprechen einer Freude, die die Welt nicht geben kann.
Die Taufe ist die konkrete und individuelle Ausdrucksform des Bundes mit Gott. Gott verbindet sich in seiner Menschwerdung mit jedem Menschen. Und wer Christ wird, nimmt in der Taufe dieses Geschenk an. Er bekennt seinen Glauben an Jesus Christus und lässt sich im Sakrament von ihm hineinnehmen in sein Leben, sein Sterben und seine Auferstehung. Und von da an lebt er mit dem Auferstandenen und in der Zeugnisgemeinschaft derer, die an ihn glauben.
Bei der Kindertaufe wurde unser Teil des Bundeschlusses von Eltern und Paten stellvertretend wahrgenommen. Weil sich das Bewusstsein durchsetzte, den Kindern aus christlichen Familien die sakramentale Gemeinschaft mit Christus nicht vorenthalten zu wollen.
Diejenigen, die mit dem Glauben an Christus aufgewachsen sind und denen er glaubwürdig und liebevoll vermittelt wurde, konnten in eine Bejahung immer mehr hineinwachsen. In der Firmung haben sie es dann selbst gesprochen. Für diejenigen jedoch, die später nur wenig oder nichts oder nichts Gutes mehr von Gott gehört haben, muss die Kindertaufe heute als eine liebgemeinte Irrelevanz oder eine respektlose Vereinnahmung vorkommen. Aber die Erfahrung, dass die Taufe eine „rettende“ Wende im Leben bedeutet, geht den meisten Christen ab. Und das ist der Grund für meine Verlegenheit.
Rettet mich die Taufe? Und werden die anderen nicht gerettet? Ich weiß nicht, wie es ist, nicht getauft zu sein. Aber ich weiß, dass Gott alle Menschen retten will. Und dass jeder Mensch, der das Gute annimmt und mitvollzieht, das von Gott zu ihm kommt (und alles Gute kommt letztlich von Gott!), an seiner eigenen Rettung mitwirkt. Ob er Gott nun kennt oder nicht.
In der Begegnung mit Jesus Christus jedoch wird diese Rettung von Gott konkret. In ihm bekommt alle Rettung einen Namen und ein Gesicht. Er lässt sich so auf unser Leben ein, dass nichts von ihm unerreicht bleibt – nicht einmal die schon Verstorbenen, und auch nichts von dem, was in mir sterbend oder gestorben ist. Von ihm empfange und lerne ich, was vollkommene Liebe ist. Und zu ihm darf ich im Glauben und in der Taufe gehören.
Diese Zugehörigkeit rettet mich in der Tat – aus meiner Gottferne, aus der Verzweiflung am Leben und am Tod, aus dem, was ich alleine nicht wieder gut machen kann, und aus jener scheinbar ausweglosen Dynamik der Lieblosigkeit, die die Kirche „Erbsünde“ nennt.
In der Osternacht werden die Christen eingeladen, die Taufentscheidung zu erneuern, dem Bösen zu widersagen und sich zu Christus zu bekennen.
Bis dahin will ich die Fastenzeit nutzen, diese rettende Wende konkret zu üben und mich jener Liebe anzuschließen, die meine Verlegenheit überwinden, unser Leben wenden und jeden Menschen retten will.
Fra' Georg Lengerke
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Berührungsängste können Leben retten. Zum Beispiel bei Offenplatten, wilden Tieren oder hochinfektiösen Krankheiten. Berührungsängste können auch Leben zerstören. Zum Beispiel bei Meidung von Menschen aus ethnischen, politischen oder religiösen Gründen.
In der Pandemie habe ich viel über die Unterscheidung meiner Berührungsängste gelernt. Es gibt Berührungsängste, die soll ich ernst nehmen und beachten, wenn die Berührung mich in Gefahr bringt. Andere Berührungsängste kann ich einfach vergessen, weil es keinen Grund gibt, Angst zu haben. Wieder andere Berührungsängste soll ich ernstnehmen, weil wirklich Gefahr droht, sie dann jedoch überwinden und die Gefahr der Berührung in Kauf nehmen, wenn ein höheres Gut gefährdet ist.
Jesus berührt einen Aussätzigen. Das war gefährlich und außerdem verboten. Der Mann wird geheilt, und Jesus befiehlt ihm, sich den zuständigen Behörden als geheilt zu melden und ansonsten den Mund zu halten.
Ich könnte mir denken, dass die Erfahrungen der Pandemie das Verständnis dieser Szene bei vielen verändert hat. Viele Menschen haben seither eine höhere Sensibilität. Zum Beispiel für die Gefahr einer Ansteckung, für die Erfahrung der Not von Isolation und Quarantäne oder auch für die Frage der Angemessenheit oder Unangemessenheit von fremdem und eigenem Verhalten oder von obrigkeitlichen Maßnahmen.
Jesus scheint keine Berührungsängste zu haben. Er spürt, dass er den Mann berühren kann und soll und dass diese Berührung für den Mann bedeutet, gesund und wieder in die menschliche Gemeinschaft hineingenommen zu werden.
„Wenn du willst, kannst du machen, dass ich gesund werde“, sagt ihm der Aussätzige. „Ich will – werde rein“, sagt Jesus und berührt ihn. Jesus will, was der Mann will. – Aber der Mann will nicht, was Jesus will. Obwohl Jesus ihm denkbar streng einschärft, von der Sache zu schweigen, erzählt er sie überall herum.
Das führt zu einem Platztausch. Der Mann ist wieder in die Gesellschaft integriert. Jesus jedoch „konnte sich in keiner Stadt mehr zeigen“, weil er fürchten muss, vor der Zeit verhaftet zu werden. Der Geheilte ist drinnen. Der Heiland ist draußen. Damit deutet sich schon an, wie die irdische Lebenszeit Jesu ausgehen wird: Er stirbt draußen, schändlich hingerichtet, als Verworfener.
Jesus hat selbst Berührungsängste gekannt. Wir hören immer wieder, dass er Massenansammlungen oder bestimmte Orte meidet, weil der Entschluss, ihn zu töten, bereits gefasst ist. Im nächtlichen Gebet vor seiner Verhaftung schwitzt Jesus Blut und Wasser vor Angst, weil er weiß, dass von da an jede Berührung ein Schmerz sein wird – beginnend mit dem Kuss des Freundes, der ihn verrät, gefolgt von Schlägen und Demütigungen aller Art.
Schon darüber lohnt es sich für mich nachzudenken, dass Jesus die Berührungsangst zu uns hin überwindet, weil wir es ihm wert sind, sich in die Gefahr unserer Launenhaftigkeit, unserer Unwahrhaftigkeit und unserem tödlichen Umgang miteinander und mit der Schöpfung zu begeben. Gerade dort hält er liebend aus, was wir einander und damit immer auch ihm antun, weil er sich mit einem jeden(!) Menschen verbunden hat.
Die Frage ist immer wieder, ob ich das will. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass der Aussätzige Jesus so nah an sich heranlässt. Auch er hätte Grund gehabt, Berührungsängste zu haben. Nicht nur, weil auch ihm diese Nähe verboten war. Nicht nur, weil er um die Gefahr der Ansteckung des Anderen wusste. Sondern auch, weil es viel Mut und Vertrauen braucht, um jemanden in die Nähe der eigenen Krankheit und Versehrtheit, Entstellung und Unansehnlichkeit zu lassen.
Um solche Berührungsängste zu kennen, muss man nicht erst eine tödliche hochinfektiöse Krankheit gehabt haben. Es gibt Menschen, die haben erfahren, dass die Begegnung mit Gott ihr Leben und Lieben verwandelt hat. Die können uns helfen, dass uns die Berührungsangst vor Gott genommen wird.
Fra' Georg Lengerke
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In diesen Tagen schreibe ich für einen Sammelband einen Artikel über „Selbstsorge“. Das ist die Kunst, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen nicht außer Acht zu lassen, während man für andere da ist.
Einer der möglichen Gründe für eine solche Außerachtlassung ist der Wunsch, es allen recht zu machen, nach Möglichkeit jedem zu Willen und für jeden ohne Unterschied auf die ihm gemäße Weise ganz da zu sein.
Theoretisch weiß jeder, dass das nicht möglich ist. Und wer es versucht, wird nie allen gerecht werden. Vor allem wird er ungerecht mit sich selbst. Denn er wird sich in einer Weise verleugnen und verbiegen, dass er am baldigen Ende nicht mehr weiß, wer er selbst ist, und auf der Strecke bleibt…
Bei Paulus findet sich eine Formulierung, die genau nach einer solchen Verbiegung und Verausgabung klingt: „Allen bin ich alles geworden.“ Wenn mir das heute jemand über seine Arbeit im Dienst am Nächsten sagen würde, dann wäre ich höchst alarmiert.
Nun macht Paulus von seiner ganzen Erscheinung nicht den Eindruck, als wäre er einer, der sich verbiegt, um es den Leuten um sich herum recht zu machen.
Im Gegenteil. Er schreibt: „Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben.“
„Alles … um des Evangeliums willen“. Paulus treibt nicht das Bedürfnis, gesehen, gemocht, anerkannt oder gar gelobt zu werden. Es geht nicht um das Gutsein Pauli, sondern um die Güte Gottes. Und die hat ihn in der Person Jesu und in seinem Wort in einer Weise erreicht, dass dies sein ganzes Leben verändert hat.
Von da an will er alles dafür tun, dass dieses Wort, diese Beziehung so viele Menschen wie möglich erreicht und von ihnen angenommen und beantwortet werden kann. So wie ein Medikament einen Kranken oder ein Liebesbrief einen geliebten Menschen in seiner Einsamkeit erreichen soll. Er kann nicht alle erreichen. Das kann nur Gott. Aber „möglichst viele“ und „auf jeden Fall einige“.
Und um des Evangeliums willen will Paulus – im Rahmen seiner Möglichkeiten – so nah wie möglich an den Menschen sein und an ihrem Leben, an ihrer Lage und an ihrem Schicksal, an Freud und Leid Anteil nehmen.
Und das, ohne es nötig zu haben: „Obwohl ich […] von niemandem abhängig bin, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen“ schreibt er. Den Schwachen sei er ein Schwacher geworden. Und macht damit offenbar genau das, was er kurz darauf aus Korinth nach Rom schreiben wird: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!“ (Röm 12,15)
Das bedeutet nicht, dass Paulus selbst außen vor bleibt. Er steht auf beiden Seiten: Auf der Seite dessen, der das Wort Gottes spricht, das er nun ausrichtet. Und auf Seiten derer, denen das Evangelium gilt, die es hören und annehmen sollen, mit denen er „an seiner Verheißung teilhaben“ will.
Wir können nicht vollkommen „allen alles werden“, ohne vor die Hunde zu gehen. Sondern wir können es nur im Rahmen unserer Möglichkeiten – und zusammen mit dem, der es allerdings ganz und gar vermochte. In Seiner Menschwerdung in Jesus von Nazareth ist der Sohn Gottes wirklich „allen alles geworden“ – bis in die letzten Winkel unseres Lebens mit seinen Höhen und Tiefen, seinen Triumphen und Abgründen.
Und hier geschieht die Wende: Denn hier heißt „allen alles werden“ nämlich auch: „allen alles andere werden“. Denn indem Er allen alles wird, wird Jesus den Verlorenen auch ein Gefundener und den Ungeliebten ein Geliebter, den Traurigen ein Getrösteter und den Schwachen ein Starker – damit auch sie mit Ihm gefunden und geliebt, getrost und stark werden.
Und in dem Maße, in dem wir erlauben, dass Er für uns da ist und uns „alles in allem“ (1 Kor 15,28) wird, werden auch wir „möglichst vielen“ und „auf jeden Fall einigen“ Anteil an dem geben können, …
…woran Anteil bekommen zu haben unser Glück ist.
Fra' Georg Lengerke
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Was haben die Menschen um mich herum davon, dass ich zölibatär lebe? Die einfachste Antwort wäre, dass ich mehr Zeit für sie habe. Das stimmt zwar, ist aber hoffentlich nicht die einzige Antwort. Auch ein Wirtschaftsunternehmen hat unter Umständen mehr von einem Angestellten, wenn er keine Rücksicht auf eine Familie nehmen muss.
Im Evangelium wird uns eine andere Antwort gegeben. Jesus sagt, es gebe Leute, die blieben „um des Himmelreiches willen“ unverheiratet (Mt 19,12). Dasselbe meint Paulus im Ersten Korintherbrief: „Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen.“ (1 Kor 7,32)
Und im scharfen Kontrast dazu beschreibt Paulus den verheirateten Menschen: Er „sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau […] sie will ihrem Mann gefallen.“ (1 Kor 7,33.34) Und daher, sagt Paulus, „ist er geteilt“.
Ist das wirklich so? Sind die Zölibatären ungeteilt für Gott da und die Verheirateten zwischen Gott und Welt zerrissen?
Sagen wir es so: Beides kommt vor. Es gibt Menschen, die wählen in Freiheit die ehelose Enthaltsamkeit, um sich „um die Sache des Herrn zu sorgen“. Das bedeutet nicht eine Alternative zum Dienst an der Welt. Im Gegenteil. Es bedeutet, auf diese Weise „ungeteilt“ mit Christus verbunden und verfügbar zu sein, um ganz mit Gott für die ihm anvertrauten Menschen und mit den Menschen für Gott und seine neue Welt da zu sein.
Und ja, es gibt verheiratete Menschen, die einen dauernden Konflikt erleben und erleiden zwischen geistlichem Leben und weltlichen Verpflichtungen, zwischen dem Anspruch des Evangeliums und den Ansprüchen, Plausibilitäten und Machbarkeiten in der Welt ihres täglichen Lebens.
Wovon Paulus allerdings nicht spricht, ist, dass es auf Seiten der Zölibatären und der Eheleute auch jeweils andersherum sein kann.
Es gibt Zölibatäre, die so sehr zerrissen sind von unfreien Beziehungen, Eitelkeiten oder einer allgemeinen Unordnung ihres Lebens, dass von der Liebe Gottes und dem neuen Leben, zu dem sie befähigt, nichts zu bemerken ist.
Und zugleich gibt es andererseits Ehepaare, die es verstehen, das Sakrament ihrer Liebe und ihre Sendung für ihre Kinder und ihre Gemeinde, für die Gesellschaft und für Menschen in Not so zu verwirklichen, dass man ahnt, was Jesus meinte, als er sagte, dass Reich Gottes sei schon mitten unter uns.
Vielleicht hilft es, sich in die Zeit des Apostels Paulus zu versetzen. Für die frühen Christen war die Gleichzeitigkeit der Weltlichkeit einer libertären städtischen Gesellschaft wie der in Korinth einerseits und dem neuartigen, konkreten Anspruch der Nachfolge Christi andererseits eine wirkliche Zerreißprobe, die sie als „Geteilt-Sein“ empfunden haben.
Das erklärt auch, warum Paulus und die frühe Kirche das ungeteilte Dasein für die Nachfolge und Sendung Jesu nach dem Modell der ersten Apostel als korrektives Gegenzeugnis wahrgenommen und propagiert haben. Und durch die Geschichte hindurch hat es leuchtende und wirksame Beispiele für dieses Zeugnis gegeben.
Andererseits gibt es auch Zeiten oder Situationen, in denen vor allem auch andersherum das Zeugnis der Eheleute für die Ehelosen notwendig wird.
Denn wo zum Beispiel die zölibatäre Lebensform und Lebenskultur verkommt, wo sie entweder als narzisstisch oder dekadent, als verbürgerlicht oder verlogen oder aus anderen Gründen als unglaubwürdig wahrgenommen wird, dort braucht es umso mehr das Zeugnis derer, die als Eheleute ungeteilt mit Gott füreinander da sind – und miteinander für Seine Liebe zu den Menschen.
Für meine Berufungsgeschichte waren sowohl verheiratete als auch zölibatär lebende Christen wegweisend. Und auch Verheiratete haben mich verstehen lassen, dass derselbe Gott, der sie zur Ehe berufen hat, andere Menschen auch zu anderen Lebensformen beruft und befähigt.
Zum Beispiel dazu, sich um Seiner Liebe willen ohne die Bindung an einen Menschen für viele Menschen zu verschenken.
Fra' Georg Lengerke
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