Bölümler

  • Zwei Burger für Engelchen. Schatzi bekommt eine Pommes. Und Herzilein? Die nimmt heute mal eine vegane Bratwurst. Wie die Stammgäste wirklich heißen, wissen die Chefinnen nicht. Es spielt auch keine Rolle. Auch wo sie herkommen, wie sie aussehen, was sie beruflich machen, ist ohne Bedeutung. Bei Sabine (62) und Schwiegertochter Katrin Clorius (41) sind alle gleich. Die Frauen sind die „Tresenfront“ der „Kleinen Pause“ an der Wohlwillstraße. Mit Herz, klarer Kante und so manch deftigem Spruch schmeißen sie den seit 38 Jahren bestehenden Kult-Imbiss.
    Sabine berichtet von der Liebe und diesem einen Abend im damals angesagten Aufreißschuppen „Posemuckel“, ohne den es die „Kleine Pause“ nie gegeben hätte. Sie berichtet von harten Zeiten, dem Wohnzimmer im Klo und den Tagen, die die Wende brachten. Die Chefinnen sprechen über Gemeinschaft, die seit der Pandemie spürbaren Veränderungen auf dem Kiez und Stress mit den Gästen. Und sie reden über die Zukunft, in der es einen Wechsel im Kult-Imbiss geben wird.

  • Mit getönter Sonnenbrille und Lederjacke, die Haare nach oben frisiert, sitzt er da. Einen halben Liter Apfelschorle im Bierglas vor sich. Alkohol ist tabu. Seit 25 Jahren hat er keinen Tropfen mehr getrunken. Der Mann, der mit Weltstars auf der Bühne stand, gemeinsam mit anderen Musikern den Grundstein für die „Hamburger Szene“ mit Otto Waalkes und Udo Lindenberg legte und in dessen Läden so viele internationale Stars feierten, dass es ihm unmöglich ist, sich an jeden Einzelnen zu erinnern.
    Uli Salm, Vollblutmusiker und Kult-Wirt des „Zwick“ in Pöseldorf und auf dem Kiez, spricht offen über feuchtfröhliche Abende mit Promis wie Elton John, Herbert Grönemeyer und Hugh Grant, der ganz schön einstecken musste. Er erzählt von tiefen Abstürzen, hohen Höhenflügen und ganz viel Leidenschaft.

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  • Die Wertschätzung, die Traditionen, das Pflegen der Kultur. Für die türkischstämmige Familie von Tayfun Bayanbas von großer Bedeutung. Eigentlich auch für den 32-Jährigen. Doch er wollte sein eigenes Ding machen. Vier Geschwister, sechs Tanten und Onkel mit jeweils drei bis vier Kindern, die wiederum auch schon Kinder hatten. Zu viele Menschen. Zu viele Meinungen. Tayfun suchte sein Glück in den USA. Gefunden hat er es schließlich dort, wo alles begann. Im „Aladin Center“ an der Reeperbahn – dem seit knapp 25 Jahren bestehenden Kiez-Kaufhaus.
    Der Geschäftsführer erzählt von seiner Kindheit auf dem Kiez. Von Nachmittagen im Laden und dem Highlight seiner Woche. Von seiner Suche nach dem Glück, fernab der Familie und des Unternehmens in Texas und China. Warum er nie in das Geschäft mit einsteigen wollte und wie er doch genau dort landete.
    Tayfun berichtet von Obdachlosen, Dieben und Junkies. Von nervigen Junggesellenabschieden und der einen Frage, die er nicht mehr hören kann. Er erzählt von Frauen auf High Heels, Touristen mit Badelatschen-Problemen, ganz besonderen Socken und den glücklichen Momenten in seinem Job.

  • Sie war die Wirtin der Hafenstraßen-Besetzer, erlebte die Zeiten der Seeleute und Luden. Der „Schöne Mischa“ und der „Schöne Klaus“ saßen bei ihr am Tresen. Mit ihren Damen, die nicht selten für Aufruhr sorgten. Und einmal auch die Wut der Wirtin zu spüren bekamen. Vor 50 Jahren landete Frauke Brauns auf dem Kiez. Eigentlich nur, um sich als Kellnerin etwas dazuzuverdienen. Doch St. Pauli ließ sie nicht mehr los. Heute ist sie 68 Jahre alt und noch immer Wirtin der „David Quelle“ – mit 118 Jahren eine der ältesten Kneipen St. Paulis.
    Die Kult-Wirtin berichtet von Stammkunden, deren Haustürschlüssel sie hat und einem tragischen Notfall. Von Junggesellenabschieden, einem Mann in Dirndl mit tiefen Einblicken und ganz besonderem Latex-Outfit. Sie erzählt von den alten Zeiten, in denen Seemänner den Laden fast zerlegten, Huren sich bis „aufs Blut“ zofften und Zuhälter die Damen aus dem Laden zerrten. Vom „Schönen Mischa“ und „Schönen Klaus“. Von Stress mit Domenica und der Zeit, als sie Wirtin der Hafenstraßen-Hausbesetzer war. Und von ihrer großen Liebe – zu dem Viertel und ihrem legendären Laden.

  • Sie war so was wie der Dorfplatz des Kiezes. Abhängen an der „Esso“: Absoluter Kult. Nachdem die Tanke unweit des Spielbudenplatzes abgerissen wurde, suchten die Leute einen anderen Ort. Und fanden ihn. Nur sehr viel kleiner. Den Kiosk „Mittenmang“ an der Davidstraße, liebevoll die „kleine Esso“ vom Kiez genannt.
    Für Chefin Mareike Dere (54) eine große Ehre, mit der sie nicht gerechnet hätte. Verließ sie den Laden anfangs doch keinen Abend, ohne zu weinen. Die flippige Frau mit dem wilden Lockenkopf berichtet vom Ärger um die Kioske auf dem Kiez und was sich ändern müsste. Von komasaufenden Kunden, solchen, die blankziehen und der einen Frau, die sie nicht vergessen wird.
    Die Kiosk-Chefin erzählt vom Geschäft in der gegenüberliegenden Herbertstraße, der Teenie-Droge Lachgas, Engländern im Peniskostüm und dem historischen Schatz, der sich unter dem Kiosk verbirgt. Und sie verrät, warum sie anfangs jeden Tag weinen musste, ihr Glück nun aber gefunden hat.

  • Mit 14 schleppte Jürgen, sein Cousin, „Ball Pompös“ an. Eddy erinnert sich noch, wie er die Nadel vorsichtig auf die Platte niederließ. Das Knistern. Die ersten Töne. Und dann diese Stimme. Es hatte ihn sofort voll erwischt. Seine Liebe zu Udo Lindenberg ging so weit, dass er sich den Namen des Sängers auf den Oberarm tätowieren ließ und ihn bis in die Garderobe verfolgte. „Ich arbeite für Udo Lindenberg“, prahle Eddy schon als junger Mann. Damals noch weit entfernt von der Realität. Er war Lude und stadtbekannter Schläger.
    Kult-Bodyguard Eddy Kante (64) berichtet offen über seine Kindheit, die Schläge des Alten. Über seine kriminelle Vergangenheit und wie er nach dem Knast an der Seite des Panikrockers landete. Er erzählt von seinem Leben mit Udo Lindenberg, von nächtlichen Touren mit Tarnmütze oder Perücke. Von dem bitteren Zerwürfnis, seinem großen Wunsch und wie er sich trotz schwerer Krankheit zurück ins Leben kämpft.

  • Sie nannten ihn „Magnum für Arme“ – damals in Santa Fu. Wegen seiner auffälligen Hawaiihemden und Shorts. Ein korrekter Typ, der sein Wort hielt und immer einen Weg fand, Stoff in die Zelle zu schmuggeln. Heute sitzt da ein hagerer Mann mit grauem Haar und Bart im Putzlicht des „Golden Pudel Club“. Die Augen müde. Die Stimme sanft. Ulli Koch ist 65 Jahre alt und Putzkraft. „Die gute Seele des Pudels“, sagen die Leute. Ein Kiez-Urgestein mit bewegtem Leben. Ulli saß hinter Gittern mit Konrad Kujau, dem Fälscher der „Hitler-Tagebücher“, betrank sich mit Campino und stand für „Tocotronic“ vor der Kamera. Dass er noch lebt, grenzt an ein Wunder. Dreimal wäre er fast gestorben.

    Ulli berichtet von seiner Zeit im Heim und den Jungs, die er später hinter Gittern wiedertraf. Von Zigeunern, die ihn „abrichteten“, Diebestouren im feinen Zwirn und seiner Zeit im Knast. Wie er Drogen in die Zelle schmuggelte, wo er sie versteckte und warum man ihn nie erwischte. Er berichtete von Koks auf Kampnagel, dem Leben in der Hafenstraße, seiner Heroinsucht und den Zusammenbrüchen, die ihn fast das Leben gekostet hätten. Und vor allem erzählt er vom „Pudel“ und seinen Menschen. Wie er Nina Hagen traf, Wodka mit Campino trank und für „Tocotronic“ ein Musikvideo drehte.

  • Ein stürmischer, nasskalter Tag im Herbst. Im Unterhemd stürmt ein Mann herein. Er schwitzt, der Kopf hochrot. Schwer atmend legt der Herr eine Uhr auf den Tresen. „Alles in Ordnung bei ihnen?“, erkundigt sich Nadja. Der Mann genervt: „Mach mal schnell hier. Ich bin gerade bei der Susi gegenüber. Die ist so geil. Für 50 Euro mehr macht die alles.“ Nadja lacht.
    Eine Situation, die sie nie vergessen wird. Obwohl sie schon so einiges gesehen hat in der Filiale an der Reeperbahn. Die 34-Jährige, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, ist Pfandleiherin bei „Grüne’s Leihhäuser“. Sie erlebt jeden Tag Menschen in Not. Manche mit kleineren Sorgen, andere, die ihren wertvollsten Besitz verpfänden müssen.

    Nadja berichtet von ihrem zweiten Arbeitstag, der sie schlagartig in die Welt des Kiezes katapultierte. Von Kunden, die täglich kommen, manche sogar mehrfach am Tag. Von höchst speziellem Pfand und dem wertvollsten „atemberaubenden“ Stück, das sie mal annahm. Sie erzählt von der Not ihrer Kunden und den Schicksalen, die sie ganz besonders berührt haben. Und auch von Beschimpfungen und dem einen Mal, als es brenzlig für sie wurde. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Pfandleiherin in der Filiale von „Grüne’s Leihhäuser“ an der Reeperbahn.

  • Carolin mag Wurst. Dass sie sie irgendwann über haben könnte – für sie unvorstellbar. Jeden zweiten Tag isst sie eine. Mindestens. „Ich muss ja auch probieren, ob sie noch schmecken.“ Klar, Qualitätskontrolle. Aber nach so vielen Jahren? Da hat man ja vielleicht das Bedürfnis zum Vegetarier zu werden. Carolin reißt die Augen auf. „Ich? Vegetarier?“ Sie lacht eine donnernde, tiefe Lache. „Noch nicht mal vielleicht.“ Carolin Schultze ist die Wurst-Königin vom Kiez. Seit 30 Jahren betreibt sie gemeinsam mit ihrem Bruder den Kult-Imbiss „Lucullus“ an der Reeperbahn/ Ecke Davidstraße.


    Die Wurst-Chefin berichtet von ihrer Kindheit im Wohnwagen, von Krokodil-Ringkämpfen auf Volksfesten, dem Aufwachsen zwischen Ankommen und Aufbrechen. Von 35 Schulen im Jahr und dem Moment, als sie sesshaft wurde. Sie erzählt von prügelnden Gästen, den Schattenseiten des Jobs und einem Promi, den sie mal retten musste. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen Carolin Schultze in ihrem kleinen Büro zwischen Wurst-Bude und öffentlicher Toilette.

  • Der Kiez ist seit jeher ein Amüsierviertel. Für Sarah ein funktionierendes Ökosystem von leben und leben lassen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Bars, Clubs und Konzerthäuser verschwinden. Stattdessen Dönerbuden, Kioske und Hotels.
    „Gefühlt leichtfertig werden Kulturräume einfach abgeschafft“, sagt Sarah Kucher (40). Gemeinsam mit ihrem Freund Mario Wiescher (45) ist sie Teil des neuen Führungsteams von „Docks“, „Prinzenbar“, „Kaiserkeller“ und „Grosse Freiheit 36“. Die Club-Kenner berichten von St. Pauli im Wandel und Clubs in der Krise. Vom Molotow, das vor dem Aus steht, weil es einem Boutique-Hotel weichen soll. Und den Sternbrücken-Clubs, die raus müssen.

    Sie erzählen von den schönsten Momenten im Musikbusiness, von absurden Wünschen der Künstler und von der „Schwurbel-Affäre“, die sie bis heute verfolgt. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Club-Kenner in der „Prinzenbar“ auf dem Kiez.

  • Fiona mag es im Mittelpunkt zu stehen. Sie präsentiert gerne ihren schlanken, tätowierten Körper. Macht Spagat auf den Tischen, räkelt sich kopfüber an der Stange und lässt langsam die Hüllen fallen. Die Frau mit den langen, rot gefärbten Haaren ist Stripperin und Managerin im „Pearls“ auf der Reeperbahn. „Ich liebe meine Arbeit“, sagt die 29-Jährige. Doch es ist auch ein harter Job.
    Offen berichtet die Tänzerin von übergriffigen Gästen, die nahezu jeden Abend in die Schranken gewiesen werden müssen. Von weinenden Kolleginnen und den Sprüchen der Männer. Von ihrem Lieblings-Kostüm und ihrer persönlichen Grenze. Von ihrer Ausbildung im Tierheim, wie ihre Familien zu ihrem Job steht und von dem Tag, als sie ihr linkes Ohr verlor. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Stripperin im „Pearls“ auf dem Kiez.

  • Im Takt seines Ganges schwingt der weiße, fast bodenlange Fellmantel die Davidstraße
    entlang. Darunter weißes Hemd, weißer Anzug, weißes Haar. So kennen die Menschen St.
    Paulis „The White Dandy“. Ein Kiez-Original, Lebenskünstler, Freigeist sei er, so sagen die
    Leute. Doch das hört er nicht gerne. „Ich bin kein Objekt. Ich bin einfach nur Götz Barner. Ein Mensch, der seit fast 40 Jahren auf dem Kiez wohnt.“ Dabei könnte sein Leben Bände füllen.

    Götz berichtet von Drogenarien, Sexorgien bei Bhagwan in Indien und revolutionären Bühnenauftritten. Von der Zeit als er noch „Bruder Barner“ war und eine Ausbildung zum Diakon machte. Von den Jahren, in denen er mit Corny Littmann und der schwulen Theatergruppe „Brühwarm“ durch die Lande tourte, das Jugendamt die Ausweise vor der Tür kontrollierte und sie schrill waren „bis zum geht nicht mehr“.

    Er berichtet von seiner Zeit mit Rio Reiser und seinem Haschischbeet hinter dem „Ton-Steine-Scherben“-Haus in Fresenhagen. Von den Jahren, als er Schmuck für große Unternehmen fertigte. Und vom Kiez, „der Leiche, die man pflegt und künstlich beatmet.“ Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den „White Dandy“ im „Erotic Art Museum“ auf St. Pauli.

  • Heinz-Diego, Domenica, Horst. Alle sind gegangen. Herbert schüttelt traurig den Kopf. Kein einziger seiner alten Weggefährten sei noch am Leben. „Das schmerzt mich sehr", sagt der Mann im gestreiften Hemd und Lederweste. Auf dem Kopf einen Hamburger Elbsegler. Vorbei die Zeiten, in denen ein entblößter Schwertschlucker die Gäste zum Toben brachte und Deutschlands bekannteste Hure ihm ihre Sorgen über den Tresen hinweg anvertraute. Herbert Wisnewski (83) ist seit 48 Jahren Wirt des „Piccadilly" an der Silbersacktwiete und verrät, wie es mit Hamburgs ältester Schwulenkneipe weitergeht.

    Herbert berichtet von seiner Kindheit in Erfurt. Mit der dominanten Großmutter, die ihn häufig schlug. Wie er fürs Theater entdeckt wurde und später als „Blätterteig-König“ nach Hamburg kam. Von den schweren Anfangszeiten des „Piccadilly“. Als Paragraf 175 „Unzucht zwischen Männern“ unter Strafe stellte. Zivilbeamte der Fahndungskommission „Homo“ das Treiben in Schwulenkneipen beobachteten. Selbst das Tanzen von Homosexuellen hart bestraft wurde. Von seinem Streit mit der einzigen Frau, die damals den Laden betreten durfte. Von prominenten Gästen, ausufernden Festen und dem schönsten Moment seines Lebens.

  • Er hat die Zeiten der „Nutella-Bande“ und „GmbH“ auf dem Kiez erlebt, war Koberer, Türsteher, Inkasso-Dienstleister und „durch Zufall“ auch mal Zuhälter. Einer, der auch mal zulangte, „wenn es sein musste.“ Eine klassische Nachtleben-Karriere auf St. Pauli. Kaum zu glauben, wenn man Olli Zeriadtke (55) erlebt. Heute ist er Herbergsvater. Einer, der sich um die Menschen am Rande der Gesellschaft kümmert. Er sagt, er sei eigentlich schon immer so gewesen, der Kiez habe sein eigentliches Ich lange Zeit unterdrückt.
    Der Mann mit Tätowierungen, Glatze, Bart und breitem Grinsen berichtet von seinem ersten Besuch auf dem Kiez. Mit seinem Mofa und dem ersten Lehrlingsgehalt in der Tasche, dass er für etwas ganz Besonderes ausgeben wollte. Von seinem ersten Job mit 16 im Puff. Der Zeit als Türsteher und dieser einen Nacht, die blutig endete. Welcher Spruch als Koberer vor dem Bordell immer funktionierte und wie er selbst zum Zuhälter wurde. Er erzählt von der Zeit, als er als Inkasso-Dienstleister „auch mal zuschlug“. Von seinem „soliden Leben“. Mit Frau, drei Töchtern und eigener Firma. Und von seinem neuen sozialen Job, in dem er seine Erfüllung fand.

    Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den Mann mit der zuweilen dubiosen Vergangenheit in dessen Wohnung an der Reeperbahn.

  • Eigentlich sollte Hendrik Kupfernagel (41) bloß einen Käufer für das „Pulverfass“ an der Reeperbahn finden. Er führte etliche Gespräche. Die Angebote: Wenig seriös. Der zurückhaltende Mann mit dem Schnauzer und der ruhigen Stimme lächelt. „Tja, und dann habe ich mich in den Laden verliebt.“ Eine Liebe, gegen die auch sein Verlobter Maximilian Protsch (36) wenig ausrichten konnte. Heute sind der Steuerberater und der Psychologe Inhaber des legendären Travestie-Cabarets, das jetzt seinen 50. Geburtstag feiert. Sie haben einiges umgekrempelt. Einen „Zirkus mit Transsexuellen“, die am Ende der Show blankziehen – das gibt es nicht mehr.

    Die neuen Pulverfass-Chefs berichten von dem Gezerre um das Travestie-Cabaret, wie Max reagierte, als sein „Schatz“ ihm vorschlug, das Pulverfass zu übernehmen und von der Kaufpreisvorstellung des Gründers. Von kleinen und großen Katastrophen beim Umbau und der Eröffnung während der Bauarbeiten. Vom Heiratsantrag vor Publikum, zügellosen Gästen und einer Dame, die im Klo feststeckte. Sie berichten, was sie alles geändert haben und warum die Künstler ihre Männlichkeit nicht mehr preisgeben. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die neuen Chefs im Pulverfass.

  • Fanny liebt Klamotten. Ständig findet sie etwas, das sie dringend haben muss. Christian hasst shoppen. Männerklamotten kauft er nur, wenn er unbedingt etwas braucht. Absolut klassisch – würde man meinen. Allerdings handelt es sich bei den Beiden um ein und dieselbe Person. Christian Feder (34) – der Mann mit dem Ankleidezimmer voller Tussifummel. Unter der Woche Mitarbeiter eines Palliativ-Pflegedienstes. Am Wochenende Fanny Funtastic – die schrille Dragqueen mit den derben Sprüchen aus der Olivia Jones-Familie.

    Christian berichtet von seinem Job in der Pflege und Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen. Von Momenten, die ihn schwer bewegten. Vom Spagat zwischen Büro unter der Woche und prallem Nachtleben am Wochenende. Wie aus Christian Fanny wurde und welchen Unterschied es zwischen ihnen gibt. Von Problemen beim Schminken, skurrilen Gästen, blankziehenden Herren und unverschämten Taxifahrern. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die schrille Dragqueen ganz ohne Fummel und Schminke auf dem Kiez.

  • Jeden Morgen bleibt er einen Moment in der Haustür stehen und schaut auf seine „fantastische Straße“ mit dem Kopfsteinpflaster, den Bäumen und den besonderen Menschen, von denen er viele kennt. Und die ihn kennen. Als Seemann „Halbe Lunge“. Der Typ mit dem Irokesen-Haarschnitt, der früher als Kapitän in der Welt unterwegs war. Der seine beiden Autos auch mal für einen Urlaub an andere Kiezianer verleiht, Obdachlosen hilft und als Aktivist Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hat. Jürgen Prey (56) ist der Kapitän vom Kiez mit dem großen Herz.

    „Halbe Lunge“ berichtet von „Nutten, Schnaps und Zigaretten“. Von der Einsamkeit auf großer Fahrt und den Häfen voller Mädchen. Davon wie anders es mit Prostituierten in Südamerika abläuft. Von seinem Wunsch zu helfen – als Anwohner auf dem Kiez und als Kapitän auf dem Mittelmeer. Er spricht über seine Missionen für „Sea-Watch“. Von den Geretteten, den Toten, dem Geruch der Leichen und diesem einen Moment, den er niemals vergessen wird. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den Seemann in seiner Wohnung auf St. Pauli.

  • Gerade mal 28 Quadratmeter inklusive Lagerräume misst der „Mini-Grill“ an der Clemens-Schultz-Straße. Doch der 1966 eröffnete Imbiss ist eine Institution auf dem Kiez. Ein Ort, an dem sich Nachbarn auf einen Schnack treffen, einsame Senioren jemanden zum Reden finden und Obdachlose umsonst etwas zu Essen bekommen. Auch für Peter Lüllemann (62) eine ganz besondere Welt. 33 Jahre lang stand er hinterm Tresen. Jetzt hat er das aktive Geschäft schweren Herzens seinem Sohn Marc (31) übergeben.

    Vater und Sohn liefern sich einen Schlagabtausch, diskutieren über vegetarische Produkte, Trüffelmayonnaise und vegane Hähnchen. Peter erzählt von den Anfängen des Ladens in einem „verdreckten, rauen Viertel“. Von einem unverschämten Luden, einsamen Senioren und einem durchgedrehten Kunden. Und was Hähnchen mit Sex zu tun haben. Sohn Marc berichtet, warum er eigentlich nie in den Imbiss mit einsteigen wollte. Er erzählt von besoffenen Engländern, Veränderungen auf der Speisekarte und seinem großen Traum. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die neue und alte Generation des „Mini-Grill“ auf dem Kiez.

  • Die große Nase, das kantige Gesicht, der durchdringende Blick. Dazu noch die tiefe Stimme. Keine Frage: Lars Nagel (49) ist der Gangstertyp. Dabei wäre er gerne mal Arzt, Geschäftsmann oder Anwalt. Doch für die Rollen wird der Schauspieler nicht besetzt. „Luden, Kriminelle – ich bin halt für die Halbwelt zuständig“, sagt der lässige Typ, der nicht Hochdeutsch, sondern Norddeutsch spricht. Seit 20 Jahren lebt er auf dem Kiez. Seine „Neverland-Ranch“ – auf der alles möglich ist. Hier wurde der Handwerker zum Schauspieler.

    Der Tischler berichtet von seiner Kindheit im Familienbetrieb. Wie er nicht ganz legal an seine Wohnung auf dem Kiez kam und wodurch er vom Handwerker zum Schauspieler wurde. Er erzählt von mies gelaunten Regisseuren und ihrem Lieblingsspruch, den er nicht mehr hören kann. Warum die Arbeit am Set längst nicht so spannend ist, wie Außenstehende meinen. Wie er sich auf seine Rolle als „Nasen-Ernie“ im Film „Der Goldene Handschuh“ vorbereitete und welche Rolle er gerne mal spielen würde. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den Schauspieler in seiner Wohnung an der Wohlwillstraße.

  • Sein Urgroßvater Albert war da so reingerutscht. Damals, als die Fahrzeuge noch aussahen wie Pferdekutschen. Sein Großvater machte weiter und ließ seinem Vater keine andere Wahl. Für Nils Larsen (59) jedoch stand fest: Nach drei Generationen ist Schluss. Er wird die „Fahrschule Larsen“ auf keinen Fall übernehmen. Heute ist er Chef der ältesten Fahrschule St. Paulis an der Hein-Hoyer-Straße.

    Nils Larsen berichtet von den Anfängen der Fahrschule, in der Wohnung seiner Urgroßeltern – direkt neben dem Schlafzimmer. Von Mittagessen mit Prüfern, die gerne mal ein Auge zudrückten. Und seiner Oma, die in Unterwäsche den Theorieunterricht unterbrach. Von Zuhältern, die sich die Fragebögen der Theorieprüfung ergaunerten und Volltrunkenen, die mal eben ihren Lappen machen wollen. Nils erzählt, warum ihm eine Hure am Fenster in der Herbertstraße Geld zusteckte und wie ein Türsteher reagierte, als dessen Hintermann sich erdreistete zu hupen. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den Fahrlehrer auf dem Kiez.